Logo

Lebendes Kulturgut: Die alten Rhöner Haus- und Nutztierrassen

Rassige Raritäten, Foto 2

Rhön. Jeder weiß, dass viele wild lebende Tier- und Pflanzenarten in der freien Natur vom Aussterben bedroht sind oder bereits ausgestorben sind. Der Gedanke des Artenschutzes an sich ist also nichts Neues. Doch den wenigsten ist bekannt, dass auch zahlreichen alten Haus- und Nutztierrassen in unserer unmittelbaren Umgebung, vor allem in der Landwirtschaft, ein ähnliches Schicksal droht: zu verschwinden. Eine anschauliche neue Broschüre des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön stellt einige teilweise gefährdete heimische Haus- und Nutztiere vor.

Wer nach einem Rhöner Nutztier sucht, der denkt sofort an das Rhönschaf. Doch es gibt noch viele weitere regionale Rassen, die die Menschen in der Rhön über Jahrhunderte zu schätzen wussten. Vom gelben Frankenvieh über das Coburger Fuchsschaf bis zur Thüringer Mäuser-Taube reicht da das Spektrum. Sie und viele andere heute weithin unbekannte Rassen waren über Jahrhunderte aufs Engste mit den Menschen und der kargen Landschaft in der Rhön verbunden und haben mit dazu beigetragen, den Lebensunterhalt der bäuerlichen Bevölkerung zu sichern.

„Die verbliebenen Bestände der alten Haus- und Nutztierrassen sind ein einzigartiges heimisches Kulturgut und stehen deshalb im Fokus unseres Interesses“, unterstreicht Michael Geier, Leiter der Bayerischen Verwaltungsstelle des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön. „Die Erhaltung genetischer Ressourcen war der erste Auftrag, den die UNESCO den Biosphärenreservaten in den 70er-Jahren mitgegeben hat.“

Vor diesem Hintergrund hat das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön in Zusammenarbeit mit Experten die Broschüre „Rassige Raritäten. Alte Haus- und Nutztierrassen in der Rhön“ erstellt, die jetzt in Oberelsbach präsentiert wurde.

Auf 32 Seiten gibt sie einen anschaulichen Überblick über die traditionellen heimischen Nutztiere und ermutigt zu deren Haltung. Christel Simantke von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Nutztierrassen (GEH) berichtete über die Ergebnisse ihres zweijährigen Forschungsprojekts zu tiergenetischen Ressourcen in deutschen Biosphärenreservaten. Ingesamt wurden bei der Untersuchung 181 Nutztierrassen (gefährdete und nicht gefährdete) erfasst. Das Biosphärenreservat Rhön, so die Referentin, habe sich dabei besonders kooperativ gezeigt. Hier ergab die Untersuchung, dass im Jahr 2013 in 72 Rhöner Betrieben 42 gefährdete Nutztierrassen gehalten werden.

Unverwechselbar und einzigartig
Wie in allen Kulturkreisen und Regionen dieser Erde haben auch die Menschen in Deutschland die Tiere ihrer natürlichen Umgebung zu nutzen gelernt, berichtete Frau Simantke. Im Laufe der Zeit entstand so durch gezielte Züchtungen eine einzigartige Vielfalt an Tierrassen mit oft ganz speziell ausgeprägten Eigenschaften. Sie waren optimal an die jeweiligen Klima-, Futter- und Landschaftsverhältnisse angepasst. Und sie wurden den jeweiligen Ansprüchen und Nutzungsbedürfnissen des Menschen gerecht – sei es als Nahrungsquelle, als Rohstofflieferant, als Helfer bei der Arbeit oder aber als Partner für besondere Aufgaben. So entstand eine differenzierte Vielfalt an Tierrassen, zumeist mit ganz charakteristischen und individuellen Eigenschaften und Merkmalen.

In der modernen Welt von heute, so die Referentin, gehe es vor allem um große Mengen billiger Lebensmittel. Früher so wichtige Eigenschaften wie tierische Zugleistungen seien nicht mehr gefragt. Da könnten die seit alters her gezüchteten Rassen zumeist nicht mehr mithalten. Sie gelten als nicht mehr rentabel und effizient genug und werden von wenigen Hochleistungsrassen verdrängt, die sich zur überregionalen und sogar globalen Vermarktung eignen.

So ist die Situation für die meisten traditionellen Nutz- und Haustierrassen dramatisch. Viele von ihnen sind vom Aussterben bedroht, andere bereits gänzlich verschwunden. Allein in Deutschland stehen derzeit über 100 von ihnen auf der „Roten Liste der gefährdeten Nutztierrassen“. Sie wird von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) geführt.

Wertvolle genetische Ressourcen
Als Gegenbewegung entstanden in den letzten Jahrzehnten aber auch Initiativen und Projekte engagierter Menschen, Vereine und Verbände, deren Ziel es ist, diese Entwicklung zu stoppen und die bunte Vielfalt unserer alten Nutz- und Haustierrassen zu erhalten und zu fördern. Ihre Erhaltung ist nicht nur eine Frage der Ethik, sondern auch der Zukunftssicherung sowie der kulturellen, landwirtschaftlichen und kulinarischen Diversität. Die vom UNESCO-Biosphärenreservat vorgenommene Erfassung der heimischen Rassen und deren Vorstellung in der neuen Broschüre sind ein Schritt in diese Richtung. Auch die GEH nimmt als Ergebnis ihrer Arbeit bereits ein verstärktes Interesse an den alten Rassen wahr.

„In unserem Heft Rassige Raritäten entdecken die Leser seltene und einzigartige Haus- und Nutztierrassen, die einst das kleinbäuerliche Leben in der Rhön prägten“, erläutert Julia Rösch von der Verwaltungsstelle in Oberelsbach, die das Projekt koordinierte. „Damit wollen wir die gefährdeten Rassen bekannt machen und über Möglichkeiten der Haltung informieren. Wenn das dann Landwirte oder private Tierhalter inspiriert, solche Nutztiere auf dem eigenen Hof zu halten, würde uns das natürlich freuen.“ Die Broschüren sind in allen Infozentren des UNESCO-Biosphärenreservats gratis erhältlich

Categories:

Alle Nachrichten, Topthema, Umwelt & Tourismus