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Tom Drieseberg von den Weingütern Wegeler ist ein „Quer-Reinschmecker“ mit Faible für’s Gereifte

150611_Drieseberg_kleinOestrich-Winkel. Tom Drieseberg lebt auf einer Scholle. Einer ziemlich großen sogar. Wenn man es in Hektar ausdrücken wollte, dann wären es etwa 45. Das Schöne an Driesebergs-Scholle: Sie löst keinen Fröstelreflex aus. Im Gegenteil: Sie wärmt das Herz des promovierten Soziologen und Betriebswirts, der auf der Scholle (s)einen Traum lebt, und sie strahlt auch auf die Menschen aus, die Drieseberg zuhören und dabei Weinkultur inmitten des Rheingau zelebrieren dürfen.

Eingebettet in Historisches, Literarisches, Philosophisches und Menschelndes umweht die flüssigen Schätze aus dem Hause Wegeler beim gemeinsamen Verkosten und darüber Reden in Kürze ein Hauch von Magie. Körper und Charakter haben die Rieslinge sowieso, aber das Gesicht der kulturprägenden Weißweintraube, die in erstklassigen Wegeler-Rheingau-Lagen angebaut wird, malt ein Kommunikationskünstler, der sein Handwerk versteht. Denn Drieseberg hat Marketing und Vertrieb von der Pike auf gelernt und in den letzten 15 Jahren sein großes „Vino Latinum“ perfektioniert.

Winzer muss man nicht unbedingt sein, um in der Weinszene erfolgreich zu sein. Dafür ist Drieseberg wohl der lebende Beweis. Als „Quer-Reinschmecker“ ist der gebürtige Pfälzer nämlich zu den Wegeler-Weingütern gekommen, wie „die Jungfrau zum Kinde“, so drückt der 55-Jährige es jedenfalls selbst aus. Ein bisschen weltlicher ist die Geschichte am Ende aber schon, denn Driesebergs Frau Anja ist eine gebürtige Wegeler.

Als im Jahr 1997 die Sektkellerei Deinhardt, die mehreren Familienstämmen der Wegelers gehörte, an das Unternehmen Henkell verkauft werden sollte, stellte sich zwangsläufig auch die Zukunftsfrage für die Weingüter Wegeler, die im Rheingau und an der Mosel beheimatet sind. Bleiben die Weingüter in der Familie oder nicht und wenn ja, wie kann das gehen – diese Fragen wurden in der Großfamilie diskutiert.

Für Tom und Anja reichte ein Wochenende, um die Entscheidung zu treffen, die Weingüter in der vierten Generation weiterzuführen und das eigene Leben auf „links“ zu krempeln. Das war trotz kurzer Bedenkzeit keine Entscheidung aus dem Affekt, sehr wohl aber ein Schritt, der durch die klassische Sinnfrage in den Vierzigern beschleunigt wurde, wie Drieseberg zugibt.

Aus dem Business Paar wurde also ein Weinbauer Ehepaar, das in den ersten fünf Jahren nach dem Neustart wenig Wein-Romantik, dafür aber jede Menge Winzer-Realität inhalieren musste. „Das Handwerkszeug, das wir aus der Industrie mitgebracht haben, nützt uns hier gar nichts. Das haben wir sehr schnell gelernt“, erinnert sich Drieseberg. „Außerdem hatten – und haben – wir immer mehr Ideen als Mittel.“

Die Mittelknappheit ist in der Weinbranche eine große Herausforderung. Und Mutter Natur sorgt bei Kellermeister und Gutsverwalter zusätzlich für (An)Spannung. Wird es ein Jahrhundertjahrgang, ein guter, ein mittelmäßiger Jahrgang oder kann man ihn vielleicht ganz vergessen? Sind Schädlinge, die möglicherweise den Ertrag deutlich schmälern oder ganze Ernten vernichten können, in den Griff zu bekommen? Angesichts der vielen Unwägbarkeiten und der Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil des Erfolges von der Natur vorgegeben wird, braucht man gute Nerven, Langmut, eine anständige Portion Gottvertrauen und gute Ideen. Aber davon hat Drieseberg ja mehr als genug.

150611_Weine_kleinRichtig eingeschlagen hat auf jeden Fall die Vintage Collection aus dem Hause Wegeler. Bei dieser Sammlung handelt es sich um Rieslinge mit einem Reifepotenzial von mehreren Jahrzehnten. Von der ersten Idee bis zur Markteinführung „des guten alten Stoffs“ in 2014 mussten immerhin 15 Jahre vergehen. Drieseberg selbst hatte die ersten Weine in 2002, einem sehr guten Weinjahr und gleichzeitig Geburtsjahr des Juniors, weggelegt. In der Schatzkammer des Gutshauses in Oestrich-Winkel lagern aber noch etliche weitere Tröpfchen aus fast vergessenen Zeiten. Rieslinge, deren Aromen nur durch geduldige Reife entstehen konnten und die den Gourmets mit differenziertem Gaumen durchaus Freudentränen in die Augen treiben können. Die Preisspanne ist bei den Vintage-Schätzchen nicht ganz ohne – von 20 bis zu 200 Euro kann eine Flasche je nach Jahrgang und Qualitätsstufe kosten. Nostalgie im Glas hat eben ihren Preis.

Es geht aber auch günstiger und jugendlicher bei den Wegelers. Zum Sortiment gehören neben den gereiften Weinen auch Gutsweine, Ortsweine und Lagenweine, für die Preise ab 10 Euro aufgerufen werden. Der Fingerabdruck des Hauses ist aber zweifelsohne der „Geheimrat J“.  Eine trockene Riesling Spätlese jenseits von Mainstream. Ein Wein, der sich nicht an konditionierten Gaumen und Nasen der Weintrinker-Masse orientiert, sondern „den wir so machen, wie wir ihn am besten finden“, unterstreicht Drieseberg, der den Geheimrat J selbst als „ersten Erstwein“ und „Wein der leisen Töne“ bezeichnet.

Kaum ausgesprochen spannt der belesene Feingeist den Bogen zu einem schwedischen Krimi, in dem der „Geheimrat J“ vorkommt. Und wo wir schon mal bei der Literatur sind, fallen auch Namen wie Schiller, Schindler, Brentano oder von Arnim. Nicht zu vergessen: Ludwig van Beethoven, der mit dem alten Wegeler historische Gelage gefeiert haben soll. Und schon beschleicht den Weintrinker das Gefühl von Ehrfurcht.

Geschichte und Geschichten haben es Tom Drieseberg zweifelsohne angetan. Zum einen ist er selbst ein ausgezeichneter Erzähler, zum anderen hat er die Chance, die Geschichte eines etablierten Weingutes fortzuschreiben und mit seinen Ideen vielleicht auch eine historische Duftmarke auf der Rheingau-Scholle und jenseits davon zu setzen.

Info: Der Rheingau ist nicht nur eine Wein-, sondern auch eine Kulturregion, die sich hervorragend auf Schusters Rappen erkunden lässt. Entlang der Wanderwege trifft man auf Historisches, unzählige schöne Geschichten, viel Sehenswertes und natürlich auch auf eine stattliche Anzahl von Weingütern. Wer die Weingüter Wegeler besuchen möchte, sollte dies am besten nach Voranmeldung tun. Grundsätzlich kann man samstags zwischen 11 und 16 Uhr im Gutshaus in Oestrich-Winkel einkehren, Weine probieren und bei Gefallen käuflich erwerben. Unter der Woche ist das Wegeler-Team von 8 bis 18 Uhr für Weinliebhaber und solche, die es werden wollen, da. Alle Kontaktdaten und weitere Informationen gibt es auf der Website www.wegeler.com

Zu den Bildern: Weinbauer statt Businessman: Tom Drieseberg hat die Geschäftswelten gewechselt und lebt im Rheingau seinen Traum. / So sieht Vintage aus: In der Schatzkammer unter dem Gutshaus lagern kostbare Tröpfchen aus fast vergessenen Zeiten. / Die Wegeler-Rieslinge: Angebaut in erstklassigen Lagen und ausgebaut mit variantenreichen Melodien im Glas und am Gaumen.

(Text: Dorit Heydenreich / Fotos: Jörg Leister)

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