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Debatte zu Suizidbeihilfe am 2. Juli 2015 – Rede von Brand im Deutschen Bundestag im Originaltext

Michael Brand (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der Orientierungsdebatte im November des letzten Jahres und danach eine würdige Debatte um Sterbebegleitung, um die Würde des Lebens auch an seinem Ende geführt. Die gesellschaftliche Erörterung des Themas Sterben haben wir dadurch ein gutes Stück aus der Tabuzone holen können. Auch was die Debatte unter uns Abgeordneten angeht, bin ich sehr froh und möchte heute dafür danken, dass wir gerade auch bei unterschiedlichen Haltungen den Respekt voreinander gepflegt haben.

Schon weit vor der Debatte vom letzten November haben wir in einer Gruppe von Abgeordneten aus allen Fraktionen immer wieder die Frage erörtert: Wie können wir erreichen, dass starker Schutz und die gute Begleitung am Ende des Lebens auch miteinander harmonieren? Wir suchten dabei von Anfang an die richtige Mischung aus menschlichen und medizinischen Antworten, nämlich bestehend aus einer deutlichen Stärkung der Palliativ- und Hospizversorgung, guter Pflege und Ausbildung sowie vor allem menschlicher Zuwendung für die Menschen in Not, für die Sterbenden.

Unser Leitsatz war und ist: Sterbende sollten an der Hand und nicht durch die Hand eines Mitmenschen sterben.

Es ist ein tiefer Respekt vor der Einzigartigkeit und der Würde eines jeden Menschen, der zu dem Gesetzentwurf geführt hat, den wir Ihnen heute vorschlagen. Dabei ist wichtig: Angehörige und nahestehende Personen behalten den Status wie bisher; wir wollen hier keine Verschärfung. Das gilt auch für Ärzte. Wir schützen mit unserem Gesetz das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient auch in der finalen Phase; denn wir wissen: Das Strafrecht kann auch gar nicht jeden Einzelfall lösen.

Wir wollen lediglich die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe von Vereinen oder Einzelpersonen – die auf Wiederholung angelegt ist – verbieten, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Unser Ansatz ist ein Weg der Mitte: Wir wollen weder weitreichende neue Strafbarkeiten wie ein Totalverbot noch die Öffnung hin zum ärztlich assistierten Suizid oder gar mehr. Die inzwischen über 210 Abgeordneten, die unseren Ansatz unterstützen, wollen auch einen Weg der Mitte: maßvoll, sensibel, ohne auf der einen oder auf der anderen Seite zu weit zu gehen.
Wir wollen die Risiken vermeiden, die wir in Nachbarländern entdeckt haben. Die enorme, steigende Zahl der Todesursache Suizidbeihilfe oder gar Töten auf Verlangen in einigen Nachbarländern gibt Anlass zur Sorge auch mit Blick auf die Ausweitung von Suizidbeihilfe in Deutschland.

Nach eingehender Analyse haben wir uns auf nur zwei Dinge konzentriert:
Erstens soll das geschäftsmäßige Angebot von Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt und damit eine Regelungslücke geschlossen werden, die inzwischen offen ausgenutzt wird. Als die Regelung von Suizid im Jahre 1871 eingeführt wurde, konnte von geschäftsmäßig arbeitenden Sterbehilfevereinen oder Einzelpersonen niemand etwas wissen.

Das Zweite, auf das wir geachtet haben: Wir wollen keine Öffnung zum ärztlich assistierten Suizid, sondern stattdessen einen Ausbau der Hilfen, und zwar flächendeckend. Wir wissen um die großartigen Möglichkeiten moderner palliativer Medizin, und wir wissen um die segensreiche Wirkung der Hospizbewegung. Hier sind sich alle Gruppen im Deutschen Bundestag einig: Wir wollen diese Hilfen verstärken, und wir zollen allen ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseren allergrößten Respekt.

Für uns sind es zwei Seiten ein und derselben Medaille: Wir wollen helfen, und wir wollen schützen. Dabei ist darauf zu achten, dass es keine falschen Kompromisse gibt. Wir wollen – wie die große Mehrheit der Ärzteschaft – auf keinen Fall, dass Beihilfe zum Suizid zu einer regulären Option ärztlichen Handelns wird. Das aber droht, wenn wir diese Tür öffnen. Wird diese Tür einen Spalt breit geöffnet, ist der Fuß erst einmal drin, dann wird die Tür immer weiter geöffnet; das zeigt die traurige Entwicklung in Nachbarländern, die auch mit engen Kriterien begonnen haben. Die Kriterien – sie halten einfach nicht, sie werden aufgeweicht. Wir wissen inzwischen: Auch bei Sterbehilfe schafft Angebot Nachfrage. Viele Tausend sterben so inzwischen jedes Jahr in Belgien, in den Niederlanden und auch in der Schweiz. Jüngstes Beispiel – und wohl nicht das Ende der Entwicklung – ist ein Fall aus Belgien, bei dem einer ansonsten völlig gesunden 24-Jährigen wegen ihres Suizidwunsches von Ärzten aktive Hilfe beim Suizid angeboten wurde. Laut dem dort auch so genannten Euthanasiegesetz ist das in Belgien erlaubt, wenn sich ein Mensch – ich will das zitieren – „in einer medizinisch aussichtslosen Lage befindet und auf ein anhaltendes unerträgliches, körperliches oder psychisches Leid zurückblickt.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist das mit den sogenannten „engen Kriterien“, die weit dehnbare Begriffe wie „unerträglich“ beinhalten: Auch vermeintlich enge Kriterien halten nicht, sie werden immer weiter gedehnt.

Wir wollen solch eine Entwicklung nicht. Wir wollen vielmehr die Selbstbestimmung von Menschen in Not schützen und eben keine Entwicklung, die Menschen mit ihrer Not und ihrer Last alleine lässt; das kann niemand wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Sterbende begleitet: Ich bin mit einem durch ein jahrzehntelanges Krebsleiden schwer gezeichneten Vater aufgewachsen. Wir haben es uns mit diesem Gesetzentwurf nicht einfach gemacht – weil es hier keine einfachen Antworten gibt. Aber eines haben wir getan: Wir wollen die schleichende Ausweitung eines geschäftsmäßigen Umgangs mit dem Sterben eindämmen. Verzweifelten Menschen sollte man die Verzweiflung nehmen, nicht das Leben. Wir wollen die Würde bewahren, wir wollen schützen und helfen. Helfen Sie uns dabei!
Vielen Dank.

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Gesundheit & Medizin, Politik & Wirtschaft