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E-Mobilitäts-Fachtagung in Romrod – Projekte in Lautertal, Gemünden und Schotten wurden beleuchtet

Dr. Nobert Mager sparte nicht mit Lob für den Vogelsbergkreis und bescheinigte ihm „Innovationskraft und großes Engagement zur Bewältigung des demografischen Wandels“. Der Referatsleiter aus dem hessischen Wirtschaftsministerium stellte ebenso wie Christian Schlump vom Bundes-Verkehrsministerium heraus, dass es dem Vogelsberg bei seinen Projekten gelinge, die Jugend und die Senioren gleichermaßen im Blick zu haben. Schlump wörtlich: „Der Landrat und sein Landkreis sehen die Herausforderung als Chance.“ Etwa 50 Fachleute diskutierten im Bürgerhaus in Romrod erste Ergebnisse der noch bis Frühjahr 2016 laufenden E-Mobil-Projekte in Gemünden, Lautertal und Schotten.

Landrat Manfred Görig (SPD) dankte den „Testfahrern“ für ihre bereits gewonnenen Erfahrungen. Über den ÖPNV hinaus „brauchen wir es in der Tat viel flexibler und viel individueller“, betonte der Landrat. Er bedankte sich bei Land und Bund für die Unterstützung bei diesem Modellprojekt in Höhe von 140.000 Euro. Görig bezeichnete es in Romrod als vorrangig, bei E-Mobilen „natürlich den regenerativen Strom aus heimischer Erzeugung“ zu verwenden. Zurzeit versorge sich der Vogelsbergkreis beim Stromverbrauch zu knapp 100 Prozent aus eigenen Quellen, vor allem aus Windkraft. Es gelte, „regionalen Strom auch regional zu verbrauchen“. Beim Ausblick setzt Landrat Görig gemeinsam mit Bürgermeister Heiko Stock auf einen Ausbau der Lade-Infrastruktur und eine Fortführung als „interkommunale Aufgabe“ – hier habe der Vogelsberg sehr gute Erfahrungen.

Gerade in ländlichen Regionen könnte E-Mobilität gut funktionieren: die durchschnittlichen Pendelfahrten liegen meistens unter 100 Kilometer. Und sehr viele haben zu Hause eine 230-Volt-Steckdose fürs Über-Nacht-Laden. So wird E-Mobilität wird in ländlichen Regionen Deutschlands vermehrt als Chance gesehen, um die Mobilität abseits der großen Städte zu sichern. Im mit 106.000 Einwohnern vergleichsweise dünn besiedelten Vogelsbergkreis (Hessen) stellt die Sicherung der Mobilität insbesondere für Jugendliche und ältere Menschen, die noch nicht oder nicht mehr über einen eigenen PKW verfügen, eine große Herausforderung dar. Daher sind Ideen und Diskussionen in der Region zu alternativen Mobilitätsformen in Ergänzung zum vom Schülerverkehr dominierten ÖPNV nicht neu.

Gerade der Anpassungsdruck auf den ÖPNV aufgrund von Finanzierungsengpässen, sinkenden Schülerzahlen und veränderten Nutzerverhaltens bietet eine gute Grundlage, um den ÖPNV ergänzend mit individuellen und alternativen Mobilitätslösungen (Car-Sharing, Bürgerbusse, Hol-und Bringdienste, Mitfahrgelegenheiten etc.) zukunftsfähig auszurichten. Um die geeigneten Lösungen für die Region zu finden, müssen diese konzipiert und erprobt werden.

Der Vogelsbergkreis hat daher im Rahmen der Regionalstrategie Daseinsvorsorge MORO (wir berichteten) ein Projekt entwickelt, in dem die Voraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz und die Potenziale von E-Mobilität bei der Sicherung der Mobilität im ländlichen Raum untersucht und erprobt werden. Dafür werden mit Car-Sharing, d. h. einem Dorf-oder Bürgerauto, und einem an eine Nachbarschaftshilfe angegliederten Hol-und Bringdienst zwei alternative Mobilitätskonzepte als zunächst lokale Ansätze auf Tragfähigkeit und Übertragbarkeit geprüft.

Für die zwei ausgewählten Pionierstandorte Gemünden-Nieder-Gemünden, Lautertal-Hopfmannsfeld (jeweils Car-Sharing) sowie für die Stadt Schotten (Hol-und Bringdienst) wurden individuell ausgestaltete Konzepte erarbeitet, die die Grundlage für die ca. ein Jahr umfassende Erprobungszeit vom 1. Quartal 2015 bis zum 1. Quartal 2016 bilden. Für den Car-Sharing-Ansatz wurden zwei unterschiedliche Ortsteile hinsichtlich Lage/Erreichbarkeit, Einwohnerzahl, Dorfgemeinschaft/Vereinswesen ausgewählt, um den Ansatz unter verschiedenen Rahmenbedingungen zu erproben. Mit der Nachbarschaftshilfe Schotten e. V. wurde eine etablierte Institution ausgewählt, deren Angebot im Zuge der Projektlaufzeit sowohl zeitlich als auch räumlich auf die Stadtteile ausgeweitet bzw. intensiviert wird. Das ehrenamtliche und nachbarschaftliche Engagement kann über die Nutzung von E-Fahrzeugen in einem größeren Radius angeboten werden, so dass deutlich mehr Personen davon profitieren.

Lokale Vereine bzw. Multiplikatoren im Ort fungieren als „Paten“ und übernehmen so Verantwortung für das jeweilige Fahrzeug bzw. den Betrieb. Dies umfasst z. B. Fahrzeugeinweisungen neuer Fahrer/innen, das Beachten von Serviceintervallen, das Kümmern um Reparaturen im Schadensfall oder auch die Außenreinigung der Fahrzeuge.

Für den Betrachtungszeitraum von sieben Monaten ist insgesamt eine gute Nutzung festzustellen, die die geplante Zielsetzung von einer Nutzung pro Tag übertrifft. Eine Rahmenbedingung des Modellprojektes ist, dass die Nutzung der E-Fahrzeuge kostenfrei ist. Lediglich eine Spende für Reinigung wird gezahlt. Folglich ist der Vergleich mit anderen E-Mobilitätsprojekten nur eingeschränkt möglich.

Erkenntnisse

Die Nutzungshäufigkeit ist aufgrund der Ladedauer begrenzt, dennoch ist eine zwei-bis
dreimalige Nutzung der Fahrzeuge pro Tag keine Seltenheit. Die Anzahl unterschiedlicher Nutzer nimmt allmählich ab. Die Phase der Neugier ist vorbei. Dafür steigt die Anzahl der Fahrten pro Nutzer. Ein fester Nutzerkreis hat sich gefunden.

Die Fahrzeuge sind im Schnitt 1.500 bis 1.600 Kilometer im Monat unterwegs, die Reichweite ist für 80 bis 90 Prozent der typischen Nutzungen wie Einkaufen, Arztbesuch, Freizeitaktivitäten laut Rückmeldung der Teilnehmenden kein Problem. Es gibt einzelne Ausreißer nach oben mit deutlich über 100 Kilomter pro Tag, die als Test-oder „Grenzerfahrungen“ zu bewerten sind. Die Unsicherheiten bei der Reichweite sind auch nach den ersten Testmonaten weiterhin vorhanden. Zentraler Schwachpunkt ist die fehlende flächendeckende Ladeinfrastruktur im ländlichen Raum sowie das System unterschiedlicher E-Lade-Infrastrukturen. Die Alltagstauglichkeit ist voll und ganz gegeben. Die Zufriedenheit mit Fahrkomfort und technischer Ausstattung ist hoch.

Hol-und Bringdienst: Bei der Nutzung durch die Nachbarschaftshilfe in Schotten zeichnet sich ein anderes Profil ab als bei den Carsharing-Modellen. In den Kernzeiten Montag bis Freitag wird das Fahrzeug durchschnittlich einmal pro Tag genutzt. Die Planbarkeit ist hoch, da die Hol-und Bringdienste mindestens zwei Tage im Voraus gemeldet werden. Darüber hinaus gibt es feste Nutzungszeiten durch den Seniorentreff. Es sind Nutzungserweiterungen bei dem Nachbarschaftshilfeverein vorgesehen, z. B. als Car-Sharing für Vereinsmitglieder, durch Mitarbeiter der Stadt etc.

Ausblick und erste Schlussfolgerungen

Für 80 bis 90% der Alltagsmobilität ist die Reichweite der Fahrzeuge ausreichend.
Zur Etablierung von E-Mobilität im ländlichen Raum ist jedoch eine flächendeckende Schnellladeinfrastruktur mit einheitlichem Standard und Nutzbarkeit für alle Fahrzeugtypen Voraussetzung. An diesem Punkt gibt es einen erheblichen Infrastruktur-Ausbaubedarf.
Car-Sharing im ländlichen Raum, auch in Form von E-Mobilität, ist also durchaus eine mögliche Mobilitätsform in Kombination mit den Netzen des ÖPNV.

Die Organisation der Verantwortung in Gemeinschaft bzw. das „Patensystem“ hat sich bewährt und kann als wichtiger Erfolgsfaktor für das sog. Bürger-oder Dorfauto-Modell angesehen werden. Die Kommunikationsmöglichkeiten unter den Nutzern sollen weiterhin verbessert werden, zwecks Mitnahmemöglichkeiten oder Erledigungen im Sinne der Nachbarschaftshilfe. Aus Datenschutzgründen kann dies nur auf freiwilliger Basis erfolgen.

Die Perspektive der eigenen Erfahrung mit E-Mobilität erhöht deren Akzeptanz und unterstützt dabei, vorhandene Vorurteile abzubauen. Auch sogenannte Schautage, an denen die Fahrzeuge auf Wunsch auch ausprobiert werden können, haben sich als fester Bestandteil während der Projektlaufzeit bewährt.

Der Wunsch nach einer Fortführung der Projekte ist bei allen Beteiligten groß. Aktuell werden verschiedene Optionen geprüft und es wird ermittelt, wie hoch die Kosten für die Verstetigung, insbesondere die Nutzungskosten pro Stunde sein können. Die Auswertung einer Nutzerbefragung, die im Herbst 2015 vorgesehen ist, soll dazu konkreter Auskunft geben.

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