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Keine Toleranz, dafür Perspektive: Durch das FULDA-MOSOCHO-PROJEKT zur „OMOISEKE mit Klitoris“

Seit über 15 Jahren tritt der weltweite Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung auf der Stelle. Die steigende Zahl von Betroffenen bringt es auf den Punkt: Nennenswerte Erfolge und Fortschritte bei der Abschaffung der menschenrechtsverachtenden Praktik sind zu wenig verbreitet. Der International Day of Zero Tolerance to Female Genital Mutilation (FGM) gibt Anlass zum Umdenken und Aufwachen.
FGM – ein Problem weit weg von mir? Es sind 200 Millionen betroffene Mädchen und Frauen, die weltweit unter der brutalen Entfernung ihrer Klitoris leiden. Beim Urinieren. Beim Menstruieren. Beim Geschlechtsverkehr. Der vorgeschobene oft genannte Grund: Sexueller Untreue vorbeugen zu wollen.

Tatsächlich ist es ein Urteil, das alle 11 Sekunden über eine Frau gefällt wird: Weniger Wert zu sein als ein Mann. Männer erhalten dieses System, das Jahr für Jahr mehr Opfer hervorbringt. Der Tag gegen Genitalverstümmelung bringt die Notwendigkeit zum Ausdruck, dass entschieden gegen diese Gräuel an Frauen vorgegangen werden muss, denn jährlich kommen laut UNICEF mehr als drei Millionen Mädchen hinzu.
2017 findet der Aktionstag zum 15.Mal statt. Den Vereinten Nationen (UN) wurde er 2003 vom Inter-African Committee (IAC) in Addis Abeba vorgeschlagen. Die internationale Konferenz unter dem Motto „Null-Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung“ setzte sich das Ziel, die bereits begonnene Kampagne gegen FGM weiter voran zu treiben und zu beschleunigen.

Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, werden bis 2030 nach UN-Berechnungen 15 Millionen betroffene Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren hinzukommen. Zum Vergleich: In Deutschland wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 359.097 Mädchen im Jahr 2015 geboren – bis 2030 wären das rechnerisch 5.386.455 weibliche Kinder.
Durch Migration dringt das Problem FGM auch nach Europa. Dort sind ca. 500.000 Mädchen und Frauen betroffen und jährlich 180.000 bedroht. In Deutschland sind laut Schätzungen ca. 30.000 Mädchen/Frauen beschnitten. Neuere Erhebungen, deren Veröffentlichung unmittelbar bevorstehen, gehen von einer größeren Zahl aus. An den Folgen leidende oder bedrohte Frauen und Mädchen sind also auch mitten unter uns.
„Aufgeklärt sind bei uns alle. Nur reicht das nicht“

Die Ablehnung der Genitalverstümmelung ist immer auch die Einsicht in die Notwendigkeit zu mehr Wissen. Jeder Mensch ist ein sexuelles Wesen. Die Vorstellung, die Sexualität wegen der mutwilligen Zerstörung der Klitoris nicht leben zu können – für viele kann das nur Ahnung bleiben. Wissen über den Bereich Sexualität, insbesondere Faktenwissen zu
Anatomie, Bedeutung und Funktionsweise der Klitoris, muss weltweit verbreitet werden, auch in vermeintlich aufgeklärten Regionen und Ländern.

Die Erfahrungen weltweit haben gezeigt, dass weder Vorhaltungen noch Verurteilung der Praktik zu ihrem Ende führen. Auch Aufklärung über die schlimmen Folgen verhilft nicht zum Durchbruch. Denn Ethnienangehörige wissen von dem Leid, dass Mädchen zugefügt wird. Dass viele der Mädchen daran sterben, erleben sie hautnah. „Das Wissen um das Leid enthält nicht die Perspektiven. Die liegen im Wissen zu dem Organ, das es zu schützen gilt“, so Professorin Dr. Muthgard Hinkelmann-Toewe, die seit Jahrzehnten Lösungen globaler Probleme erforscht, die den Bereichen geschlechtsspezifische Gewalt sowie sexuelle und reproduktive Gesundheit zuzurechnen sind.

„Wer hat hierzulande Wissen über die Anatomie der Klitoris, über ihre Bedeutung für die Sexualität der Frau? Wie können wir dann davon ausgehen, dass dieses Wissen in Afrika anzutreffen ist? Aufgeklärt sind bei uns alle. Nur – wie sich zeigt – reicht das nicht. Ist hier nicht ein Umdenken erforderlich, um die notwendige Basis für erfolgreiche Präventionsarbeit zu schaffen?“

Mit Faktenwissen zum Erfolg
Es braucht Schulung, Kurse, Ausbildung im Wissen um das weibliche Sexualorgan, seine Anatomie und Physiologie und seine Bedeutung und Funktionsweise für und in der Sexualität. Das sind entscheidende Voraussetzungen, um erfolgreich in der Präventionsarbeit in Bezug auf FGM zu sein und erfolgreich in der sensiblen Zusammenarbeit mit Ethnien, bei denen das Ritual noch Bestandteil ihrer Kultur ist.
Eine besonders erfolgreiche Herangehensweise zieht aus dem osthessischen Fulda weite Kreise. Der von Hinkelmann-Toewe entwickelte Wert-Zentrierte Ansatz, der in Kenia im FULA-MOSOCHO-PROJEKT in Zusammenarbeit mit der Kisii-Ethnie angewandt wird. Auf der Grundlage, dass FGM nur durch einen gesellschaftlichen Wandel und der Verhaltensänderung der Männer gestoppt werden kann, bilden die Mitarbeiterinnen des Projektes in Kenia beide Geschlechter in Bezug auf das notwendige Faktenwissen zu dem weiblichen Sexualorgan und den Bereichen Sexualität und Fortpflanzung aus.

Die zugrunde liegende Forschungsarbeit, wie diese Form der Gewalt an Frauen gestoppt werden kann, kommt ebenfalls aus Osthessen. Der Wert-Zentrierte Ansatz wurde an der Hochschule Fulda von Hinkelmann-Toewe entwickelt und stellt seitdem ein äußerst effektives Instrument zur Veränderung von gesellschaftlich fest verankerten Strukturen, die der Diskriminierung von Frauen zugrunde liegen, dar.
„Die Zeit des Ausprobierens ist vorbei!“

Zum 15. Mal macht der Tag gegen Genitalverstümmelung auf die Menschenrechtsverletzung gegen Frauen und seine physischen und psychischen Folgen aufmerksam. Die Eindämmung und die Überwindung bleiben angesichts der Betroffenenzahlen überaus dringlich. So wichtig die grundsätzliche Positionierung von Politik und Zivilgesellschaft gegen FGM auf der ganzen Welt ist, so entscheidend der Umgang mit der Schlussfolgerung daraus. „Die Zeit des Ausprobierens ist vorbei! Erfolgreiche Strategien zur Bekämpfung der Tortur gibt es, sie müssen nun bekannter gemacht und geeignete Voraussetzungen geschaffen werden, damit sie breitflächig Anwendung finden“, ist Grundtenor des FULDA-MOSOCHO-PROJEKTES.

Täglich sind die Haupt- und Ehrenamtlichen des FULA-MOSOCHO-PROJEKTES mit kenianischen Männern und Frauen im Austausch, die an den Folgen des in vielen Ländern

gesetzeswidrigen Ritus zu tragen haben und sich schon mitten in einem umfassenden Veränderungsprozess ihrer gesellschaftlichen Strukturen befinden.

Kerstin Hesse ist Anti-FGM-Fachkraft vom Trägerverein Lebendige Kommunikation e.V. und mehrmals im Jahr in Kenia unterwegs. Sie kennt die Bedeutung der Freiwilligkeit: „Durch die Ausbildungsinhalte und das Ausbildungssetting kann die Wertschätzung vor allem der Männer gegenüber Frauen wachsen und in der Folge die eigene freie Entscheidung, Töchter und Enkelinnen unversehrt aufwachsen zu lassen.“ Ganz konkret erarbeitet sie zusammen mit den Seminarteilnehmern – Männer wie Frauen – Wissen über das weibliche und männliche Sexualorgan und die Folgen von Verstümmelung. Auf Basis dieses Wissens erfassen die Seminarteilnehmer sofort die Freude über Möglichkeiten und Chancen, in einer Kultur mit Klitoris zu leben – ein überaus wichtiger Motor für den gesellschaftlichen Wandel.

Omoiseke sein – Vollwertige Mitglieder der Gesellschaft
Die erfolgreich bewahrten Mädchen in Mosocho können nun unversehrt – mit Klitoris – inmitten der eigenen Familie und des eigenen sozialen Umfeldes aufwachsen. Sie können geschützt vor der Praktik, ohne Trauma und ohne Folgeerscheinungen, froh und unbelastet ihr Leben genießen. Auch erleben sie die Veränderung ihrer Eltern und können eine vertrauensvolle, nicht durch das Ritual belastete Beziehung, zu ihnen aufbauen. Ihre Aufnahme in die Erwachsenenwelt hängt nicht mehr von der Verstümmelung ihrer Genitalien ab. Scholastica Maeri aus Nyakoe, mittlerweile 18 Jahre alt, erinnert sich: „Ich brauchte nicht durch diese schreckliche Prozedur der Verstümmelung, um Omoiseke (ein vollwertiges Mitglied der Erwachsenen) zu werden.“ Ihren Eltern sei sie unendlich dankbar dafür. Stolz sei sie auf ihren Vater, der an einer 3,5 jährigen Wert-Zentrierten Fortbildung teilgenommen und das neue Wissen in seine Familie eingebracht hat.

Die Mitarbeiterinnen des FULDA-MOSOCHO-PROJEKTES stellen fest, dass die Kontinuität der Strategie des Wert-Zentrierten Ansatzes greift und die Zahlen geben ihnen Recht: Weit über 20.000 Mädchen konnten in der Region Mosocho bereits vor FGM bewahrt werden. Dem Fuldaer Team ist wichtig, am internationalen Tag der Nulltoleranz den grundsätzlich positiven Blick auf bisher Erreichtes und die Perspektiven im Kampf gegen die Genitalverstümmelung zu stärken. Doch ebenso die Forderung: „FGM ist nur durch gesellschaftlichen Wandel und Verhaltensänderung der Männer aufzuhalten. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Genitalverstümmelung rufen wir die Dringlichkeit ins Gedächtnis. Es muss vorangehen!“

Wenn Sie Teil der erfolgreichen Arbeit des FULDA-MOSOCHO-PROJEKTES und den Trägerverein Lebendige Kommunikation unterstützen möchten:

Infokasten
Lebendige Kommunikation e.V. Sparkasse Fulda IBAN: DE45 5305 0180 0043 5102 03 BIC: HELADEF1FDS
Stichwort: Genitalverstümmelung überwinden
Kontakt: Telefon: 0661–64125, E-Mail: info@fulda-mosocho-project.com

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