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Wird Eichenzell geschreddert?

Der Bürgermeister von Eichenzellund sein Gemeinderat haben sich etwas dabei gedacht. Eine Bauschuttfirma im Industriepark Rhön bei Eichenzell möchte expandieren. Die mögliche Erweiterung des aktuellen Firmengeländes beißt sich mit dem Vorhaben des Bürgermeisters, diese Teile des Geländes künftig anderweitig zu vermarkten und teils als Erweiterungsoption für ein benachbartes Maschinenbau-Unternehmen zu nutzen. Deshalb haben sich Bürgermeister, Gemeinderat und das Unternehmen auf eine „Umsiedlung“ der Bauschuttfirma verständigt. Es gibt dazu „eine klare Beschlusslage der gemeindlichen Gremien“, wie der Bürgermeister schreibt. Eine hierfür von der Gemeinde bereit gestellte Fläche am sog. „Autobahn-Kleeblatt“ soll neu zum weiteren Industriegebiet umgewidmet werden. Allen scheint geholfen. Die Unternehmen können doppelt expandieren. Die Gemeinde hat sogar ein neues Industriegebiet für künftige Ansiedlungen. Und dazu: Die Bürger seien von dem Ganzen überhaupt nicht betroffen, jegliche Beeinträchtigung oder Gefährdung der Gesundheit sei– so verspricht es der Bürgermeister schriftlich – „objektiv“ ausgeschlossen. Also machen wir Eichenzeller es wie immer: einfach einen Haken dran! Die ausstehenden Genehmigungen sind sowieso nur Formsache.

In der Tat könnten wir im Vertrauen auf ehrliche Eichenzeller Politik einen Haken machen, wenn da nicht ….
diese Halbwahrheiten in der Argumentation des Bürgermeisters wären,
viele offene Fragen im Zusammenhang mit den bisherigen Gutachten,
und
Bürger, die sich um ihre Gesundheit und die ihrer Kinder sorgen.

Zu den Halbwahrheiten. Der Bürgermeister spricht von einer „Umsiedlung“. Er erweckt den Eindruck, die Bauschuttfirma mache das Gleiche nur an einem anderen Standort, etwas größer nur, um die Bautätigkeiten in der Region zu unterstützen. In Wahrheit geht es aber um eine völlig neue Qualität des Bauschutts, der nunmehr erhebliche Giftstoffe beinhaltet, die künftig mit geschreddert werden sollen. In diesem sog. „Z2-Material“ sind zum Beispielfolgende Giftstoffe enthalten, die beim Schreddern mit dem Feinstaub freigesetzt würden: Arsen, Blei, Cadmium, Chrom, Thalium, Quecksilber, Cyanide, Kohlenwasserstoff, PAK, Benzol(a)pyren, EOX. Der Jahresdurchsatz wird künftig um den Faktor 50 von bisher 2.000 Tonnen auf 100.000 Tonnen erhöht. Die Lagermassen um den Faktor 18 von 1000 Tonnen auf 18.000 Tonnen. Der Schredderbetrieb von 2 Tagen pro Jahr erhöht auf 312 Tage pro Jahr. Die LKW-Bewegungen von 3 pro Woche auf 150 LKW pro Woche. Giftiges Z2-Material, das bislang nicht verarbeitet werden durfte, wird bis zu 20.000 Tonnen – ein Fünftel des Jahresdurchsatzes – geschreddert. Das Schreddern erfolgt unter freiem Himmel ohne Absaug- oder Filteranlagen. Das Gelände liegt auf dem Hügel und steht im Westwind, mit nur knapp 250 Metern Abstand zu der Wohnbebauung in Windrichtung.

Es bleibt das ungute Gefühl, dass Bürgermeister und Gemeinderat sich dieser neuen „Qualität“ des Schredderns entweder nicht bewusst sind oder manches „beschönigt“ haben. Wer sich die Mühe macht, alle Unterlagen einzusehen, der erkennt wie einiges– durch Gewichtung oder Vereinfachung – verzerrt wirkt. Wenn man in diesen Unterlagen ergänzend noch die Gutachten zur Schadstoff- und Lärmbelastung liest, die von der Bauschuttfirma in Auftrag gegeben und von der Gemeinde bezahlt wurden, dann bestätigen diese künftig Schadstoff- und Lärmbelastungen, halten den Betrieb- auf Grundlage der Betriebsangaben des Unternehmens –noch für genehmigungsfähig. Es gebe zwar erhebliche Schadstoffe und mehr Lärm, aber gesetzliche Grenzwerte wären nicht erreicht.

Zu den offenen Fragen: Bemerkenswert sind etwa die Diskrepanzen in der Schredder-Leistung. Im Staubgutachten des TÜV Hessen sind 19 Tonnen pro Stunde angesetzt. Das Unternehmen selbst hat im Antrag 80 Tonnen pro Stunde vorgesehen. Nach Herstellerangaben leistet der Schredder 225 Tonnen pro Stunde. Dürfen wir nun annehmen, dass ein Unternehmen in den Hochleistungs-Schredder teuer investiert, um diesen dann dauerhaft künftig unter 10 % (so im Gutachten angesetzt) auszulasten? Oder könnte es sein, dass der gesetzliche Grenzwert im Jahresmittel bei höherer Auslastung doch erreicht würde? Das Lärmgutachten beschränkt sich – so beauftragt – auf die Schallleistung der vom Unternehmen beschriebenen Anlagen-nutzung. Bezeichnet diese als unter dem Grenzwert. Aufgrund dessen hat das Unternehmen den vorgesehenen Lärmschutzwall aus den Antragsunter-lagen nachträglich gestrichen. Ein neuer weiterer Sachverständigenbericht kommt zu der Erkenntnis, dass bei der Ermittlung von Lärmimmissionen auf den benachbarten Wohngrundstücken inhaltliche Defizite feststellbar sind. Unberücksichtigt blieben hierbei auch die bereits heutigen Vorbelastungen für die betroffenen Wohngebiete aufgrund des dortigen Verkehrsauf-kommens (Autobahn, Bundesstrasse, Bahntrasse) am Autobahn-Kleeblatt.

Die Sorgen der Menschen: Warum werden wichtige Fakten – wie skizziert – weg gelassen oder schön geredet, wenn gilt was der Bürgermeister schreibt: „Eine Betriebsstätte, welche die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigt, würden wir in Eichenzell niemals genehmigen!“? Wägen Bürgermeister und Gemeinderat vielleicht doch „Industriepolitik“ ab gegen die Lebensqualität der Menschen in Eichenzell? Durchaus legitime Politik, dann sollte das aber nicht schön geredet werden. Wie passt das alles zum Motto der Gemeinde: „Ich lebe gern in Eichenzell“. Wird dieser Anspruch von Eichenzell an eine hohe Wohn- und Lebensqualität zugunsten weiterer Industrieansiedlungen preisgegeben? Kaum zu glauben, dass die Mehrheit der Gemeindevertreter dies wirklich aufgeben möchte. Der Bürgermeister erweckt in seiner Stellungnahme den Eindruck, als wäre der Schredder ein kleiner unbedeutender „Tropfen“ angesichts der eh schon bestehenden Belastungen durch das Verkehrsaufkommen am sog. „Autobahn-Kleeblatt“. Aber: mancher Tropfen hat ein Fass schon zum Überlaufen gebracht. Dabei könnte für die Politik alles so einfach sein. Fakten aufbereiten, ohne etwas zu beschönigen, weg zu lassen oder hinzuzufügen. Sorgen der Menschen ernst nehmen, das Gespräch suchen ohne die Kritiker in eine Ecke zu stellen, oder – wie geschehen – mit Anwaltsabmahnungen zu traktieren. Das wäre nicht nur eine legitime, sondern eine inhaltlich gute Politik für die Bürger von Eichenzell. Und gute Politik könnte sich sogar an dieser Stelle fragen, ob es für die Beurteilung der Lebens- und Wohnqualität in einer Gemeinde nicht weniger auf das „Einhalten von Grenzwerten“, sondern vielleicht sogar mehr auf das Vermeiden von Belastungen mit Schadstoffen und Lärm überhaupt ankommt? Die Eichenzeller leben gern in Eichenzell. Sie haben schon vieles hin genommen, jeder kennt die Verkehrssituation um Eichenzell, auch alle relevanten Großleitungen und Versorgungstrassen laufen durch oder am Rande von Eichenzell, fehlen wohl nur noch die Windräder oder größere Kraftwerke. Der Schredder gibt jetzt Anlass für alle innezuhalten, diese Entwicklung zu reflektieren und zu entscheiden, wie es mit Eichenzellkünftig wirklich weiter gehen soll. Ein kluger erster Schritt wäre es, den Standort für den Schredder grundsätzlich zu überdenken, denn es gäbe sinnvolle Alternativen, wenn auch keine im Interesse einer künftig großflächigeren Industriepolitik. Eine gute Gelegenheit für die Politik, sich als ehrlicher Sachwalter der Menschen in der Gemeinde zu beweisen, etwas Gutes für die Bürger zu tun. Es wäre schön, wenn ein Nachdenken einträte und die Gemeinde neu entscheidet bevor (in) Eichenzell geschreddert wird.

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