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Gesundheit von Geflüchteten: Sprache ist wichtig, aber nicht alles!

Wird über die Erfolgsfaktoren zur Integration von Geflüchteten gesprochen, geht es meist um den Spracherwerb und die Vermittlung des deutschen Wertesystems. Die gesundheitliche Situation von Geflüchteten ist ebenso komplex und entscheidend. Gerade im Hinblick auf die Integration in Arbeit nimmt deswegen der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit eine wichtige Rolle ein.

Der Ärztliche Dienst ist für die Beratungs- und Vermittlungsfachkräfte ein wichtiger Partner: Er schlägt die Brücke zwischen medizinischen Sachverhalten und vermittlungsrelevanten Aspekten. Rund 370 Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen sind bundesweit für ihn tätig. Als 2015 die Fluchtmigration zunahm, bereitete er sich durch Seminare zur interkulturellen Sensibilisierung auf die neuen Kundinnen und Kunden vor.

Ein Blick in die Praxis: Ein großer weißer Flur, sieben Untersuchungszimmer und mittendrin steht Dr. Sharifa Latif. Die gebürtige Afghanin kam 1979 zum Medizinstudium nach Deutschland. Heute leitet sie den Verbund Hessen Frankfurt am Main des Ärztlichen Dienstes. „In der Praxis hatten wir bislang keine Konfrontation mit Geflüchteten. Sie stehen im Integrationsprozess noch ganz am Anfang. Vordergründig erwerben sie erste Sprachkenntnisse. Ich gehe davon aus, dass Ende 2017 die ersten Begutachtungen beginnen“, erklärt Dr. Sharifa Latif. Dennoch ist ihr der Umgang mit Geflüchteten nicht unbekannt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzqualifikation Sozialmedizin ist nebenberuflich im hausärztlichen Notdienst tätig. Hierzu gehören auch Einsätze mit medizinischer Versorgung in Flüchtlingsunterkünften.

„Die Geflüchteten haben genauso ihre Magen-Darm- oder Lungenprobleme“. Dennoch können auch Auswirkungen der Flucht zu gesundheitlichen Einschränkungen führen. „Kriegserlebnisse, Gewalterfahrung im Heimatland und auf der Flucht sowie der Kulturschock im neuen und zugleich fremden Land können die psychische Verfassung dieser Menschen sehr beeinträchtigen“. Nicht jeder Mensch, der eine belastende Situation erlebt hat, entwickelt automatisch eine Störung. Entscheidender Faktor ist die Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit). „Dennoch können psychische und psychosomatische Krankheitsbilder bei den Geflüchteten häufiger auftreten“. Neben psychischen haben viele Geflüchtete laut Dr. Latif auch körperliche Beeinträchtigungen, wie Amputationen, Verbrennungen, Granatsplitter und Mangelerscheinungen. Die gebürtige Afghanin sieht aus persönlicher als auch beruflicher Erfahrung in der Verarbeitung der Fluchterlebnisse Unterschiede. „Frauen aus dem orientalisch- afrikanischen Kulturraum haben durch ihre gesellschaftliche Erziehung ein anderes Krankheitsverständnis als Männer“.

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat zum Forschungsstand zur gesundheitlichen Situation von Flüchtlingen in Kooperation mit der Robert Bosch Stiftung zu Beginn 2016 eine wissenschaftliche Expertise veröffentlicht. Die Erkenntnisse deuten auf eine insgesamt hohe Krankheitslast hin. Ihre gesundheitlichen Beschwerden führen die Geflüchteten selbst auf die Flucht und aktuelle Lebenssituation zurück. Einer der wichtigsten Gründe sei die unsichere Lebenssituation im Hinblick auf die Bleibemöglichkeit in Deutschland.

Bundesweit sind 3.039 Personen (Stand Februar 2017 Quelle Bundesagentur für Arbeit) mit dem Aufenthaltsstatus Flucht mit einer Schwerbehinderung registriert; in Hessen sind es 262 Personen mit einem Grad der Behinderung zwischen 50 und 100. Bis eine geflüchtete Person die Feststellung ihrer Schwerbehinderung beantragt, kann viel Zeit vergehen. Die Feststellung der Schwerbehinderung erfolgt durch das zuständige Versorgungsamt in Deutschland. Damit dieses einen Grad der Schwerbehinderung feststellen kann, müssen ärztliche Befunde vorliegen. So liegt es zunächst an den Geflüchteten, einen Arzt aufzusuchen.

Ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung regelt das Asylbewerberleistungsgesetz. Flüchtlinge, die sich im Asylverfahren befinden, müssen sich die ärztliche Behandlung durch das Sozialamt genehmigen lassen. Zudem haben sie innerhalb der ersten 15 Monate nur bei akuten gesundheitlichen Beschwerden Anspruch auf eine Behandlung.

Fehlendes Behördenwissen und eingeschränkte Sprachkenntnisse können den ersten Arztbesuch hinauszögern. Dabei können sprachliche und kulturelle Barrieren durch Dolmetscher abgebaut werden. „Geflüchtete haben aufgrund kultureller und religiöser Unterschiede ein anderes Gesundheitsbewusstsein, das sich im Umgang mit gesundheitlichen Störungen wiederspiegelt. Innerhalb des ärztlichen Dienstes versuchen wir, die Untersuchung in der Muttersprache des Kunden anzubieten. Die Kunden sollen wissen, dass da jemand ist, der sie und ihre Sprache versteht. Kann dies nicht gewährleistet werden, ziehen wir einen Dolmetscher hinzu. Im Rhein-Main-Gebiet haben wir viele Kontakte zu verschiedensprachigen Ärzten und Institutionen, die Therapeuten mit verschiedenen Sprachkenntnissen beschäftigen. Die Adressen dieser Einrichtungen gebe ich an meine Kunden weiter“, so die Medizinerin.

Im Umgang mit der gesundheitlichen Situation von Geflüchteten empfiehlt sie ein sensibles und wachsames Vorgehen. „Es kann sein, dass vor einem ein Vulkan sitzt auf dem nur Asche liegt. Geht man zu sehr in die Tiefe, kann dies eine Dekompensation auslösen. In diesen Fällen ist es immer wichtig einen Fachdienst, wie zum Beispiel den Ärztlichen Dienst, hinzuziehen“.

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