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Flüchtlinge können in Weyhers ihr eigenes Gemüse anbauen

Enis hat heute Abend Unkraut gejätet, seine Erdbeerpflanzen gegossen und das Beet mit einem Netz vor Vogelfraß geschützt. „Nimm deinen Salat mit, der fängt sonst an zu blühen. Deine Mutter freut sich bestimmt darüber“, sagt Siegfried Dunitza zu dem Jungen aus Somalia, der in der Gemeinschaftsunterkunft in Weyhers lebt.

Vor drei Jahren startete Dunitza ein Gartenprojekt, um die in der Rhöngemeinde untergebrachten Flüchtlinge „aus der dumpfen Stube herauszuholen und ihnen etwas Abwechslung zu bieten“. Der 79-Jährige und seine Frau Gisela sind Initiatoren der Gruppe „Nachbarschaftsfamilien“, die zum Verein „Miteinander-Füreinander Oberes Fuldatal“ gehört und in Weyhers ein Netzwerk aufbauen möchte, in dem Nachbarn wieder enger zusammenrücken und sich gegenseitig im Alltag unterstützen.

Als die Gemeinde Ebersburg in der Alten Post einen Treffpunkt für demente Menschen einrichten wollte, setzte sich der Pensionär dafür ein, stattdessen eine Begegnungsstätte für alle Generationen zu gestalten. Mit Zuweisung der ersten Flüchtlinge nach Weyhers erweiterte sich für ihn der Kreis derer, die es in die Gesellschaft zu integrieren galt.

Während in der Alten Post mittlerweile die Beratungsstelle für Hilfreiche Technik im Alltag untergebracht ist und dort regelmäßig Spielenachmittage für Alt und Jung stattfinden, hat Dunitza auf dem umliegenden gemeindeeigenen Gelände einen Gemüsegarten angelegt – „mit tatkräftiger Unterstützung“, betont der Hobbygärtner: Ein Landwirt aus dem Ort hat dafür die Wiese umgepflügt, die Firma Baumgarten das Holz für den Geräteschuppen gesponsert und die acht Männer der Nachbarschaftsfamilien beim Bau des Schuppens, des Lehmofens und des Tomatenhauses geholfen. Für letzteres hat Dunitza sein altes Camping-Hauszelt umgebaut. Im gesamten Garten finden sich seine ohne großen finanziellen Aufwand umgesetzten Ideen: Der Lehmofen, der bei Festen zum Pizzabacken genutzt wird, besteht genau wie ein Teil der Gartenumfriedung aus Sockelsteinen des Vorläuferbaus der Alten Post, die Klappdeckel auf den Wassertonnen hat der Heimwerker aus Brettern zusammengefügt, Schneckenzäune um den Salat aus alten Blumentöpfen ausgeschnitten.

Die Abtrennungen der Beete sind aus Reisigabfällen sowie Weiden selbst geflochten. „Anfangs hatten wir eine große gemeinsame Fläche, aber da fühlte sich niemand verantwortlich. Jetzt hat jeder der elf Teilnehmer zwei eigene Beete, für deren Pflege er zuständig ist.“ Weil sie sich für die Flechttechnik interessierte, ist Bärbel Herr zu der Gruppe gestoßen und hat beim Bau des Zaunes geholfen. Der Weyherserin gefällt die Idee, den geflohenen Menschen mit der fruchtbaren Erde ein Stück Heimat zu bieten. „Außerdem mag ich den Einblick in die afrikanische Mentalität: Nicht die Arbeit steht im Vordergrund, sondern das Miteinander. Wer sagt denn, dass unsere Leistungsgesellschaft das einzig Richtige ist?“

Die meisten der Flüchtlinge stammen aus Eritrea, einem der ärmsten und immer wieder von Dürre bedrohten Länder der Erde, mit acht unterschiedlichen Ethnien und ebenso vielen unterschiedlichen Sprachen. Deshalb ist die Verständigung – auch untereinander – nicht einfach. Dunitza verdeutlicht Efrem, der seit drei Jahren in Deutschland lebt, dass dessen Mais zu dicht stehe. Momina, eine junge Äthiopierin, pflanzt einige der Halme auf ihr Beet um. Doch mehr möchte Efrem nicht vereinzeln. Auf Dunitzas Drängen gibt er zu verstehen, dass die Pflanzen für Sara, Kokob und die anderen heute nicht Anwesenden zunächst weiterwachsen sollen.

Im warmen Abendrot wirkt der Garten paradiesisch. Enis und sein spanischer Freund Leonardo beobachten den Regenbogen, den sie mit Wasser aus ihrer Gießkanne zaubern, die Erwachsenen sind am Arbeiten, während zwei Babys ruhig in ihren Kinderwagen spielen. Als die kleine Bronto beginnt, ungeduldig zu werden, nimmt Leonardos Mutter Carmen die Kleine auf den Schoß, während Mama Momina noch Blattspinat für das Abendessen erntet. Wegen des Ramadans kocht sie heute erst spät.

Doch kein Gärtnerleben ohne Enttäuschungen: Im vergangenen Sommer – vor dem Bau des Wetterschutzes – verfaulte der Großteil der Tomaten, Efrems Mais wurde komplett von den Vögeln weggepickt und die grünen Bohnen sowie der Mangold als unbekannte Gemüsesorten kamen gar nicht gut an. Entmutigen lassen sich die Gärtner davon nicht.

„Ich bin, schon berufsbedingt, mit kleinen Erfolgen zufrieden“, sinniert Dunitza, der ehemalige Sonderschullehrer, lächelnd. Er widmet dem Garten jeden Morgen eine Stunde Zeit. Als nächstes plant er den Bau eines Geländers an der Gartentreppe und einen Beeren-Naschgarten. Für den ehrenamtlich Aktiven hat sich der Aufwand gelohnt, wenn die Truppe wie im vergangenen Jahr bei einer gemeinsam aus dem eigenen Gemüse gekochten Minestrone vergnügt und stolz beisammensitzt oder die Nachbarschaftsfamilien im August ihr zweites internationales Sommerfest feiern.

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