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Sein Wunsch: Sicherheit und Schutz – Der Iraker Amer Ibrahim hofft auf eine Chance für seine Familie

Fotos von der Zerstörung seines Viertels, von den Verletzungen seiner Schwester, von den verstorbenen Brüdern und deren Familien: Amer Ibrahim hält in Händen, was ihm von seiner Heimat geblieben ist, von seiner Familie, die im Irak ausharrt und keinen Tag sicher ist. Sein Wunsch: Er möchte seine Mutter, seine beiden Schwestern und seinen Bruder nach Deutschland holen. Rechtlich hat er dazu keine Handhabe. Er hofft auf eine humanitäre Entscheidung.

Amer Ibrahim ist seit Ende 2015 in Deutschland. Der Iraker verließ 2014 die Stadt Mossul, als der sogenannte IS mit brachialer Gewalt dort einfiel und bis heute eine Spur der Verwüstung und des Todes hinterlassen hat. In Mossul zurück blieben seine Mutter, seine Schwestern, die Brüder. Einer von ihnen hatte ein kleines Kind. „Aus Mossul heraus führte damals schon keine Straße mehr. Der beschwerliche Weg wäre für sie nicht zu schaffen gewesen – schon gar nicht die Flucht nach Europa“, berichtet Amer, der in Gedanken stets zuhause war, in Mossul, bei seiner Familie. Währenddessen stellte er in Deutschland einen Asylantrag. Ihm wurde eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Noch ein Jahr darf er zunächst hierbleiben.

Doch die Lage in seiner Heimatstadt lässt ihn nicht los. Ständig bleibt er mit seiner Familie verbunden. Auch als im März die von der NATO unterstützte Offensive der irakischen Armee auf den IS beginnt, bangt Amer um seine Familie in der bombardierten Stadt. Während die Armee für sich Erfolge reklamiert, sterben in einem Bombardement auf ein Wohnhaus verschiedenen Berichten, unter anderem der Tagesschau und der Zeit, zufolge über hundert Zivilisten. Darunter: Amers Bruder mit seiner Frau und zwei Kindern, das jüngste gerade mal einen Monat alt. Auch ein weiterer Bruder des Irakers stirbt unter den Trümmern. Die ganze Familie wohnte in dem bombardierten Haus, 14 Menschen. Amers Schwester wird schwer verletzt. Nach sechs Stunden kann sie gerettet werden. Ihre Beine sind kaputt, für ihre Brüder und deren Familien gibt es keine Rettung. „Meine Schwester hat noch ihren kleinen Neffen unter den Trümmern rufen hören, doch irgendwann war alles still“, berichtet Amer. Lange Zeit, war die die Lage in Mossul so unsicher, dass nicht mehr nach Verschütten und Toten gesucht werden konnte. So konnten erst vor wenigen Tagen die Leichenteile aus den zerstörten Häusern geborgen werden. Auch davon hat Amer inzwischen Fotos bekommen. „Nur von dem Baby fand man nichts mehr unter Trümmern, nichts mehr“, berichtet der Iraker unter Tränen.

Als Amer Ibrahim im März erfährt, was seiner Familie geschehen ist, gibt es für ihn kein Halten. Er möchte zurück in den Irak, will seiner Mutter und den überlebenden Geschwistern beistehen. Dafür würde er sogar sein Aufenthaltsrecht in Deutschland aufgeben – Amer will nur eins: zurück. Seine Freunde, Geflüchtete wie er, raten ihm ab. Doch der Wunsch, seine Familie zu sehen, wird immer stärker. Amer findet Unterstützer, auch bei ProAsyl und der Caritas, sie sammeln Geld für ihn und besprechen mit der Ausländerbehörde die Möglichkeit, für eine kurze Zeit zurückreisen zu dürfen. „Es war eine ziemliche Prozedur“, berichtet Pfarrer Walter Bernbeck von der Flüchtlingsberatung ProAsyl. Am Ende können sie nachweisen, was mit Amers Familie geschehen ist; im Juni reist Amer daraufhin für 20 Tage in seine Heimat.

Was er dort sieht, kann er kaum in Worte fassen. Zerstörung weit und breit. Der Tod hat sein Stadtviertel mit seinem Geruch überzogen – so viele Menschen, die immer noch unter den Trümmern begraben liegen. Das Wiedersehen mit seiner Familie findet im Krankenhaus statt. Dort harrt seine Mutter bei der einen Schwester aus. Die anderen Geschwister haben Unterschlupf im Haus einer Tante gefunden. Dieses befindet sich im von der irakischen Armee kontrollierten Teil der Stadt, dort ist es relativ sicher. Seine verletzte Schwester war zunächst in Mossul im Krankenhaus, jetzt wurde sie nach Erbil in den Norden des Iraks verlegt. Viel Hilfe bekommt sie dort dennoch nicht: „Es fehlt an allem – die medizinische Versorgung ist schlecht und kostet viel Geld“, berichtet Amer. Und Geld hat seine Familie schon lange nicht mehr: Der Krieg hat ihnen wirklich alles genommen, sie haben nur noch, was sie am Leib hatten.

Amer schöpft die wenigen Wochen, die ihm gestattet wurden, voll aus. Jede Sekunde ist er bei seiner Familie, spricht, versucht zu trösten und sich trösten zu lassen. Als er abreisen muss, kann er es kaum aushalten. Seit Ende Juni ist er nun bereits wieder in Deutschland, in Alsfeld. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als seine Mutter, seine Schwestern und seinen Bruder hier in seine Arme schließen zu können. Doch Familienzusammenführung ist schwer geworden in Deutschland, selbst für minderjährige Flüchtlinge. Keine Chance also für Amer, der bereits 27 Jahre alt ist. Und der Verwandtschaftsgrad gibt ebenfalls keine Begründung für eine Familienzusammenführung her. Sollte Amers Familie nach Deutschland wollen, müssten sie den langen, beschwerlichen und gefährlichen Weg einer Flucht auf sich nehmen. Doch daran ist nicht zu denken: Es ist kein Geld mehr da, und der Gesundheitszustand der Schwester erlaubt es ohnehin nicht. Die 25-Jährige müsste dringend in Deutschland operiert werden, damit sie irgendwann wieder gehen kann. „Ich suche für meine Familie nach einem legalen Weg nach Deutschland.“ Das ist Amers größter Wunsch, und so lange dieser nicht erfüllt ist, kann er hier nicht richtig ankommen. Die Sorge um seine Familie hält ihn fest umschlungen. Seine große Hoffnung: Die Bundesrepublik möge seine Familie aus humanitären Gründen einreisen lassen. Dazu hat will er eine Eingabe bei den politischen und militärischen Stellen machen, die für dieses Bombardement verantwortlich sind. Da es sich um einen Nato-Beschuss handelte, zählen auch der Deutsche Bundestag und die Bundeswehr dazu.

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