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„Gehet hin durch die Tore“ Wiederaufführung einer Bach-Kantate nach über 220 Jahren

In der Geschichte Tanns findet sich ein Sprössling des weit verzweigten Bach-Geschlechts: Johann Michael Bach (1745-1820). In Struth bei Schmalkalden geboren, verbrachte er, nach Reisen durch Europa, zwei längere Phasen seines Lebens, nämlich von 1768 bis 1778 und dann noch einmal von 1785 bis 1795 als Kantor in der Rhönstadt.1795 begab er sich in die Schweiz und ließ ich schließlich in Elberfeld (heute Wuppertal) nieder, wo er 1820 starb.
Johann Michael Bach gilt als letzter Vertreter der Bachfamilie insgesamt, deren Mitglieder über Jahrhunderte hinweg alle erdenklichen musikalischen Ämter Mitteldeutschlands innehatten. In Tann hat er die Kirchenmusik entscheidend mitgeprägt: Hier entstanden die meisten seiner Kantaten. Und sicher hat er auch weitere Werke hier aufgeführt.

Als ehemalige Wirkungsstätte Johann Michael Bachs bildet Tann seit einigen Jahren ein Zentrum der Beschäftigung mit seiner Musik. In mehreren Gottesdiensten und Konzerten wurden hier bereits viele seiner Werke nach über 200 Jahren aus dem Dornröschenschlaf geweckt und vom Kirchenchor Tann mit Orchestern und Solisten in Gottesdiensten und Konzerten wieder aufgeführt.

Mit „Gehet hin durch die Tore“ soll nun eine weitere Kantate wieder am Ort ihres Entstehens erklingen. Dafür hat Kantor Thomas Nüdling die Kopie einer Handschrift aus dem Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Rudolstadt erworben und sie für heutige Verhältnisse und die geplante Aufführung eingerichtet. Nüdling spricht dabei von kleineren und größeren Herausforderungen: „Jede Note, jedes Zeichen und jedes Wort müssen in den PC eingegeben werden. Manchmal kann man aber Vieles nicht richtig lesen, weil es einfach undeutlich geschrieben ist oder sich das Alter des Papiers bemerkbar macht.“ Das sei „wie Sodoku“, weil man Unleserliches aus der Logik heraus meistens ergänzen müsse. Anschließend ging Nüdling auf Fehlersuche. Mit kompositorischem Verständnis und Kenntnis der Werke des Tanner Bach hat er sie „hoffentlich alle“, wie er hofft, ausgemerzt. So liegt nach über 150 Arbeitsstunden die Kantate „Gehet hin durch die Tore“ nun zur Aufführung bereit. Der Kirchenchor Tann probt mittlerweile fleißig für die Wiederaufführung am Reformationstag (Mittwoch, 31. Oktober, 19:30 Uhr, Stadtkirche Tann).

Das Werk basiert auf drei Versen aus dem Buch des Propheten Jesaja (Kapitel 62, Verse 10-12). Der Prophet lädt nach Jerusalem ein: Menschen und Völker sollen durch die Tore der Stadt ziehen, um dort Gottes Heil entdecken und erfahren zu können. Mutig und unerschrocken sollen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.
Dass Jerusalem nicht nur als Stadt, sondern als allgemeines Sinnbild von Gottes Gegenwart gemeint ist, wird mit Blick auf die nachfolgenden Sätze deutlich: In knapper Weise fasst Johann Michael im Rezitativ „Preiset ihn, ihr Jubellieder“ das Heilsgeschehen zusammen: Geburt, Tod, Auferstehung und Wiederkunft Jesu Christi gelten dem Heil der Menschen. Und das soll mit „Jubelliedern“ besungen werden.
Wie Jesus den Menschen durch sein Wirken Gottes Heil nahe gebracht hat, ist Gegenstand der Arie „Menschen Liebe, Menschen Glück“: Jesu Liebe zu den Menschen stehen Hass, Tücke und Heuchelei seiner Widersacher gegenüber. Mit seiner harschen Kritik an ihnen („Otternzucht“, „übertünchte Gräber“ [vgl. Mt 23]) räumt er geistliche Hindernisse selbst beiseite. Jesus ist der von Jesaja prophezeite Heilsbringer, der die Menschen durch verschlossene Tore zu Gott und seinem Heil führen will.
Johann Michael Bach komplettiert die alttestamentliche Prophetie in neutestamentlichem Licht – inhaltlich wie musikalisch: Ein eher motettisch gestalteter Chorsatz ist eng mit dem Text der jeweiligen Bibelverse verwoben und erhält dadurch Tiefgang; in der Arie vollzieht Bach teils waghalsige harmonische Wendemanöver, mittels derer ihm die Gegenüberstellung von göttlichem Heil und menschlichem Tun überaus deutlich gelingt.

Zu hören sein wird das Werk im Gottesdienst am Reformationstag (Mittwoch, 31. Oktober 2018) um 19:30 Uhr in der Tanner Stadtkirche. Ausführende sind der Kirchenchor Tann, das Rathgeberensemble Fulda sowie Sopranistin Anna Ziert unter der Leitung von Kantor Thomas Nüdling. Pfarrer Jonathan Stubinitzky wird über die Kantate und ihre Bedeutung zum Reformationsfest predigen.

Die Aufführung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Kultur- und Geschichtsverein Tann und wird gefördert von der Kirchenmusikstiftung Ziegler (Paderborn) und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst im Rahmen des Projektes LandKulturPerlen.

Eine musikalische „LandKulturPerle“: Der Tanner Bach
Das Modellprojekt „LandKulturPerlen“ nimmt die kulturelle Bildung im ländlichen Raum Hessens in den Blick: Die Landesvereinigung Kulturelle Bildung Hessen e. V., durch Förderung vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien unterstützt Aktionen, um deren erfolgreiche und nachhaltig wirksame kulturelle Bildungsarbeit zukunftssicher zu machen. Eine solche „LandKulturPerle“ ist auch der Johann Michael Bach (der „Tanner Bach“) und seine Kantate „Gehet hin durch die Tore“.

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