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Mut, Wissen und Freude kontra Gewalt – 40. bundesweite Lesung des Vereins LebKom über ein Projekt gegen weibliche Genitalverstümmelung in Kenia

Sogar Menschen, für die das Thema weibliche Genitalverstümmelung (kurz FGM) nicht neu war, nahmen nach eigener Aussage von der Lesung „Wüstenblume muss nicht sein – Die Kisii, das Wissen und der Wandel“ neue Erkenntnisse mit nach Hause. „Ich habe mich immer gefragt, wie Frauen ihren Töchtern so etwas antun können. Heute Abend habe ich verstanden, dass sie sich wegen der gesellschaftlichen Strukturen gar nicht wehren konnten“, sagte eine Zuhörerin am Ende.
Zu der Lesung eingeladen hatte die Biebertalschule in Hofbieber gemeinsam mit dem Verein “Lebendige Kommunikation“ (LebKom), der sich seit über 15 Jahren in Kenia mit seinem Fulda-Mosocho-Projekt für ein Ende von FGM einsetzt. „Wir wollen Zivilcourage zeigen, indem wir uns mit dem Thema beschäftigen“, betonte Schulleiter Ulrich Dölle. Über die vor allem in Afrika und einigen Teilen Asiens verbreitete Menschenrechtsverletzung hatten Lehrkräfte im Vorfeld mit den Acht- bis Zehntklässlern in den Fächern Politik und Wirtschaft sowie Biologie gesprochen, erläuterte sein Stellvertreter Henning Jöhnke, der die Veranstaltung koordiniert hatte. Per Videobotschaft aus Berlin bedankte sich Bundestagsabgeordneter Michael Brand bei der Schulgemeinde, dass sie nicht wegschaue angesichts des Leids von weltweit 300 Millionen betroffenen Mädchen und Frauen. Er hoffe, dass sich die Schülerinnen und Schüler weiterhin engagieren, beispielsweise in Form von Praktika bei LebKom, so Brand.
Die Lesung war die 40. innerhalb einer bundesweiten Aktionsreihe, die von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dem hessischen Wirtschaftsministerium (HMWEVL) gefördert wird. Für den Landkreis Fulda handelte es sich um die dritte: Bereits im Herbst hatten Veranstaltungen im Hünfelder Stadtcafé und in Großenlüder stattgefunden. Vier Schülerinnen der Lüdertalschule hatten eine Tanzimprovisation zu der Problematik kreiert, die sie nun noch einmal aufführten.
LebKom gibt sich nicht damit zufrieden, auf die Menschenrechtsverletzung FGM aufmerksam zu machen, sondern möchte zeigen, wie Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen kann, den Brauch zu überwinden. Als Beispiel stellte der Verein das Fulda-Mosocho-Projekt vor, das mit Hilfe einer psychosozialen Kommunikationsstrategie zur Gleichstellung von Mann und Frau – dem in Fulda entwickelten „Wert-zentrierten Ansatz“ – beeindruckende Erfolge erzielt hat. Inzwischen ist das Projekt auf zwei Nachbarregionen Mosochos ausgeweitet worden. In den vorgetragenen Texten kamen Menschen aus diesen neuen Gebieten zu Wort.
Der Hofbieberer Bürgermeister Markus Röder las den Erfahrungsbericht eines Vaters vor, der durch Zufall vom Fulda-Mosocho-Projekt erfahren, sich begeistert und seine Tochter vor der Beschneidung gerettet hatte und der sich jetzt aktiv für den Schutz aller Mädchen einsetzt. Wie eine Großmutter zur Rettung ihrer Enkelinnen mutig gegen Konventionen verstieß, wurde im Vortrag von Konrektorin Sylvia Falkenhahn erzählt. Auch Schulsprecher Julian Bech übernahm einen Lesepart. Einen Ausschnitt aus dem Beststeller „Wüstenblume“ von Waris Dirie präsentierte Celina Sommer.
Claudia Wegener von LebKom, die selbst mehrere Jahre lang in Kenia für das Fulda-Mosocho-Projekt tätig gewesen war, trug den Bericht ihrer Kollegin, der langjährigen Anti-FGM-Fachkraft Kerstin Hesse, vor: Nach dem 2001 erfolgten staatlichen Verbot der weiblichen Beschneidung hätten sich die Menschen „im Spannungsfeld zwischen gesetzlichem Auftrag und kultureller Erwartung befunden“. Innovativ ausgerichteter Sexualkunde-Unterricht habe geholfen, eine positive Einstellung zum weiblichen Körper zu entwickeln. Die Schulungen für die Bevölkerung umfassen zahlreiche weitere Aspekte, beispielsweise das gleichwertige und gewaltfreie Aufwachsen von Jungen und Mädchen.
„Mir ist bewusst geworden, wie wichtig es ist, die Männer mit ins Boot zu holen“, sagte Zuhörerin Charlotte Scholz am Ende. „Ich finde besonders beeindruckend, mit welcher Freude die Veränderung geschieht“, ergänzte Maria Dege. „Statt der Beschneidung wie früher wird nun die Unversehrtheit der Mädchen mit Musik und Tanz gefeiert.“

Infokasten:
Die Vorlese-Aktion ist Teil des bundesweiten entwicklungspolitischen Projektes „Weibliche Genitalverstümmelung – mehr Engagement für bedrohte Frauen und Mädchen in Afrika! Ehrenamt stärken, Jugend erreichen, Entscheidungsträger bewegen“. Einrichtungen wie Schulen, Kirchengemeinden, Büchereien oder auch Privatpersonen, die gerne eine Lesung ausrichten würden, können sich an LebKom, Tel. 0661 / 64125, E-Mail lebendige-Kommunikation@gmx.de wenden. Weitere Informationen: www.fulda-mosocho-project.com

Allgemeine Information:
Der gemeinnützige Verein „Lebendige Kommunikation“ (LebKom) mit Sitz in Fulda engagiert sich seit über 30 Jahren für die Gleichstellung und -behandlung von Mann und Frau. Er ist im Nachgang zur Weltfrauenkonferenz in Nairobi entstanden, auf der die Professorin Dr. Muthgard Hinkelmann-Toewe mit Kenianerinnen Freundschaft geschlossen hatte.
An der Hochschule Fulda erarbeitete sie wissenschaftliche Grundlagen für frauenstärkende Wege der Entwicklungszusammenarbeit und setzte diese Hand in Hand mit den kenianischen Frauen und dem eigens hierfür gegründeten Verein LebKom e.V. in die Praxis um. Einen Schwerpunkt bildet hierbei das Fulda-Mosocho-Projekt, das 2002 mit finanzieller Unterstützung der EU ins Leben gerufen wurde und das seitdem für den nachhaltigen Schutz afrikanischer Mädchen vor Genitalverstümmelung (FGM) aktiv ist. Seit 2001 in Kenia zwar gesetzlich verboten, war dieser Brauch, der international als schwere Menschenrechtsverletzung gilt, in Mosocho – der Heimat der Kisii-Ethnie – traditionell so stark verwurzelt, dass die Beschneidungsrate in dieser Region Kenias bei 96 Prozent lag.
Durch Wissenstransfer und Schulungseinheiten, basierend auf dem „Wert-zentrierten Ansatz“ (wie Prof. Hinkelmann-Toewe die von ihr entwickelte psychosoziale Kommunikationsstrategie zur Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit genannt hat), konnte bereits innerhalb weniger Jahre ein grundlegender Bewusstseinswandel in der Bevölkerung und ein Rückgang der FGM-Rate auf weit unter 20 Prozent bewirkt werden. Dadurch blieben bislang Zehntausende Mädchen vor FGM und den daraus resultierenden lebenslangen Einschränkungen bewahrt und sind in ihren Familien und Gemeinden nun nachhaltig sicher.
2010 stellte UNICEF das Fulda-Mosocho-Projekt in einer internationalen Studie als eines der fünf erfolgreichsten heraus, die sich in Afrika für ein Ende von weiblicher Beschneidung einsetzen. Mittlerweile ist das Projekt infolge der großen Nachfrage auf die Nachbarregionen Marani und Kisii South ausgeweitet worden. Die behördlichen Vertreter von ganz Kisii County (mit einer Einwohnerzahl von 1,2 Millionen) haben die Projektverantwortlichen im August 2018 auf einer Sondersitzung gebeten, die Arbeit nach dem Wert-Zentrierten Ansatz auf alle elf Bezirke, in denen die Kisii leben, auszuweiten. Informationen unter www.fulda-mosocho-project.com
Die Vorlese-Aktion ist Teil des bundesweiten entwicklungspolitischen Projektes „Weibliche Genitalverstümmelung – mehr Engagement für bedrohte Frauen und Mädchen in Afrika! Ehrenamt stärken, Jugend erreichen, Entscheidungsträger bewegen“ und wird von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dem hessischen Wirtschaftsministerium (HMWEVL) gefördert.

Celina Sommer las einen Ausschnitt aus dem Bestseller „Wüstenblume“ von Waris Dirie vor.
auch Bürgermeister Markus Röder gehörte zu den Vorlesern…
… genau wie Schulsprecher Julian Bech.
„Schülerinnen der Lüdertalschule zeigten tänzerisch, dass FGM überwunden werden kann.“
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