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Ein Jahr Corona – Folgen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt in Hessen

Seit einem Jahr wirkt sich die Corona-Pandemie auf den hessischen Arbeitsmarkt aus. Trotz der stabilisierenden Wirkung der Kurzarbeit kam es innerhalb kurzer Zeit zu einem eindeutigen Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Hessen. Lag die Anzahl der Arbeitslosen 2019 im Jahresdurchschnitt noch bei rund 150.000 Personen, stieg sie 2020 auf 185.000 Personen an.

Der Arbeitsmarkt vor Corona

Nach einer langen Phase steigender Arbeitskräftenachfrage und damit niedriger Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenquote 2005: 9,7 Prozent; 2019: 4,4 Prozent) stieg die Arbeitslosenquote 2020 auf 5,4 Prozent und somit auf das Niveau von 2016 an.

Dennoch, so Dr. Frank Martin, Leiter der Regionaldirektion Hessen, zeichneten sich bei aller Euphorie bereits in den letzten Jahren große arbeitsmarktpolitische Herausforderungen ab: „Der Arbeitsmarkt vor Corona war durch drei wesentliche Entwicklungen geprägt: Zunehmende, demografisch bedingte Verknappung der verfügbaren Arbeitskräfte und damit erhöhter Bedarf an Fachkräfteeinwanderung, fortschreitende Digitalisierung sowie ein Strukturwandel in mehreren großen Branchen wie der Automobilindustrie oder der Energieerzeugung. Insbesondere der Fachkräfteengpass hatte schon in den letzten Jahren wachstumshemmende Auswirkungen. Gerade im Gesundheitswesen, aber auch im Handwerk wurde das besonders deutlich. Stellenbesetzungen wurden immer schwieriger oder dauerten deutlich länger.“

Der Arbeitsmarkt in der Corona-Pandemie

Der hessische Arbeitsmarkt wird seit Frühjahr 2020 insbesondere durch eine geringe Einstellungsbereitschaft der Unternehmen geprägt. „Während mögliche Entlassungen in großem Umfang durch Kurzarbeitergeld vermieden werden konnten, ist die Rückkehr in den Arbeitsmarkt für Arbeitslose deutlich erschwert“, erläutert Martin.

Bedenklich ist der hierdurch steigende Anteil an Langzeitarbeitslosen: „Wir konnten in den letzten fünf Jahren die Zahl der Langzeitarbeitslosen auch aufgrund der guten Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes deutlich reduzieren. Durch Corona wurden wir bei unseren Bemühungen zurückgeworfen. Der Anteil an allen Arbeitslosen in Hessen liegt jetzt bei 33 Prozent. Der Stillstand am Arbeitsmarkt macht den Berufs- und Wiedereinstieg sehr schwer“, so Martin.

Da aktuell weniger Betriebe ausbilden wollen als noch im letzten Jahr, sieht Martin die Gefahr langanhaltender Arbeitslosigkeit bei der Personengruppe der Jüngeren besonders kritisch: „Wir sollten alles tun, um eine Generation Corona zu vermeiden. Wir müssen Perspektiven eröffnen. Angesichts dessen, dass in den nächsten Jahren mehr Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden als hinzukommen, können wir es uns schlicht nicht leisten, die Zeit ungenutzt zu lassen und junge Menschen auf dem Weg in die Ausbildung zu verlieren“, so Martin. „Ich fordere daher dringend alle noch nicht erfassten Bewerberinnen und Bewerber um eine Ausbildungsstelle auf, sich bei der BA registrieren zu lassen. Wir haben noch tausende verfügbare Ausbildungsstellen. Aber auch, damit ihnen geholfen werden kann, falls sich eine scheinbar sicher geglaubte Ausbildungsmöglichkeit letztlich nicht realisiert.“

Obwohl die Kurzarbeit eine stabilisierende Wirkung auf den hessischen Arbeitsmarkt hat, können nicht alle Branchen davon profitieren.

„Wir sprechen von einer sektoralen Betroffenheit. In der Corona-Krise leiden besonders das Gastgewerbe, der Tourismus, der Kulturbereich und der Handel. Die Veränderungen in der Industrie und in der Arbeitnehmerüberlassung haben bereits vorher eingesetzt“, so Martin.

Alle anderen Branchen können trotz Krise einen Zuwachs an Beschäftigten gegenüber dem Vorkrisenniveau verzeichnen.

Insgesamt fällt der Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aufgrund dieser anhaltenden Wachstumstendenz in vielen Bereichen mit -0,6 Prozent zum Vorjahr gering aus. Einen starken Rückgang gibt es allerdings seit 2020 bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten. Sie sind oft in den erwähnten, von der Krise besonders betroffenen Branchen tätig und haben u.a. keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.

100 Prozent Kurzarbeit gibt es fast nie

Im Mai 2020 gab es in Hessen die meisten Kurzarbeiter*innen. In 39.500 Betrieben erhielten rund 472.500 Beschäftigte konjunkturelles Kurzarbeitergeld. Danach sanken mit den eintretenden Lockerungen sowohl Anzeigen wie Anträge auf Kurzarbeitergeld wieder. Die meisten Kurzarbeiter*innen gab es im Verarbeitenden Gewerbe, gefolgt von Handel, Logistik und Gastgewerbe.

Kurzarbeit betraf zu 85 Prozent Kleinstbetriebe (bis zu 19 Beschäftigte). Der Anteil an Großbetrieben (ab 500 Beschäftigte) lag lediglich bei 0,4 Prozent. Sie stellten allerdings die meisten Kurzarbeiter mit 26 Prozent (Kleinstbetriebe: 24 Prozent).

Betrachtet man den Arbeitsausfall im Mai 2020 erkennt man den höchsten Wert (42 Prozent) bei einem Ausfall von über 25 bis 50 Prozent. Ein Ausfall von 100 Prozent kam kaum vor (0,1 Prozent). Insgesamt lag der durchschnittliche Arbeitsausfall in diesem Monat bei 47 Prozent.

Seit März 2020 gingen bis heute in Hessen rund 86.850 Anzeigen für fast 1,1 Millionen Personen ein. Im August bezogen fast 260.000 hessische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in rund 22.500 Betrieben konjunkturelles Kurzarbeitergeld. Erste Hochrechnungen weisen einen Rückgang der Zahlen für die Folgemonate September und Oktober aus, bevor sie zum Monatswechsel Oktober/November mit dem Lockdown voraussichtlich wieder ansteigen werden. Für November geht die Bundesagentur für Arbeit von rund 24.000 Betrieben und knapp 236.000 Kurzarbeitern in Hessen aus.

Bis einschließlich Januar 2021 wurden etwa 2,0 Mrd. Euro konjunkturelles Kurzarbeitergeld inklusive Sozialversicherungsbeiträge in Hessen ausgezahlt. Zum Vergleich: 2019 waren es lediglich 12 Millionen Euro.

Qualifikation schützt aktuell nicht vor Arbeitslosigkeit

Mit der Corona-Krise sind binnen eines Jahres nicht nur Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung arbeitslos geworden (+ 22 Prozent), sondern auch Personen mit Berufsabschluss (+23 Prozent) und akademischer Ausbildung (+34 Prozent).

„Corona macht nicht halt vor einem Berufs- oder Universitätsabschluss. Viele Fachkräfte, Spezialisten und Experten wurden im letzten Jahr arbeitslos“, fasst Martin zusammen. „Die stockende Arbeitskräftenachfrage trifft aktuell alle Qualifikationsniveaus. Die Abgangschancen aus Arbeitslosigkeit sind in der aktuellen Situation gering. Der Stellenbestand liegt mit einem Minus von 23 Prozent weit hinter den Vorjahresergebnissen zurück“.

Die Arbeitswelt nach Corona

Die Herausforderungen der Vor-Corona-Zeit werden auch nach Corona bleiben, bilanziert Martin: „Die Brisanz des beschleunigten Strukturwandels hin zu mehr Digitalisierung und Umweltschutz, eine alternde Gesellschaft und zu wenige junge Menschen, die nachrücken, sowie der Anspruch, ein attraktives Einwanderungsland für Fachkräfte zu werden, betrifft letztendlich alle: Politik, Gewerkschaften, Verbände, Behörden oder Unternehmen. Wir alle müssen an einem Strang ziehen, damit die hessische Wirtschaft auch in Zukunft funktioniert.“

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