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„Aktion Grundgesetz“ in Fulda – Aktionstag am Heinrich von Bibra Platz

Fulda. „Inklusive Bildung“ war das Thema des diesjährigen „Tag des Grundgesetzes“, doch was verbirgt sich hinter diesem sperrigen Titel? Im Grunde ist die Antwort darauf ganz einfach: Behinderte sind Menschen wie alle anderen auch. Warum sollte man sie also nicht auch so behandeln? Konkreter formuliert: Warum schickt unsere Gesellschaft z.B. ein Kind im Rollstuhl in eine Sonderschule? Es gibt keine befriedigende Antwort darauf, denn das Grundgesetz basierend auf dem Artikel 27 der UN-Menschenrechtskonvention stellt klar, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf Gleichstellung haben. Will man als Gesellschaft aber damit ernst machen, dann reicht es eben nicht, bloß in bestimmten öffentlichen Einrichtungen Behindertentoiletten und Rollstuhlauffahrten einzubauen, sondern dann muss man auch mit der inklusiven Bildung ernst machen, das heißt: Man muss Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit einräumen, zusammen mit nicht behinderten Kindern eine ganz normale Schule zu besuchen.

Dass das nicht nur funktioniert, sondern eine ungeheure Bereicherung darstellt und sogar zum Qualitätsmerkmal einer Schule werden kann, zeigt das Beispiel der Frankfurter Römerstadtschule. Deren Leiterin, Heike Schley, führte in ihrem Vortag bildlich und mit großer Empathie vor Augen, was es bedeutet, sich auf den Weg zu machen, um Inklusion zu verwirklichen. Denn: „Inklusion ist mehr als Integration“. Letzteres bedeutet, dass eine Minderheit sich den Regeln einer Mehrheit anpasst, aber immer eine deutlich erkennbare Minderheit bleibt. Inklusion dagegen hat zur Folge, dass die Minderheit in der Gruppe aufgeht und sich alle zusammen Regeln setzen, an denen jeder einzelne gleichberechtigt mitgewirkt hat.

Damit das aber gelingt, darf man Menschen nicht in „normale“ und „unnormale“ einteilen, sondern man muss seine Perspektive individualisieren. Dann entdeckt man, dass jeder ein bisschen anders ist, der eine mehr, der andere weniger, aber dass genau diese Unterschiede das Leben bunt und spannend machen. Und man entdeckt, dass jeder seine Schwächen, aber auch jeder seine Stärken hat. Genau diese zu fördern und die Schwächen auszugleichen, darauf kommt es in einer Schule an. Wie aber schafft man das an einer Regelschule?

Für die Römerstadtschule, die seit 1986 ungefähr 10% behinderte Kinder zusammen mit nicht behinderten unterrichtet und sich darüber hinaus seit 2005 verstärkt mit dem wachsenden Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und aus sozial schwachen Familien in der Frankfurter Nordweststadt konfrontiert sah, hieß die Antwort ganz klar, dass sich die Form der Vermittlung und auch die Organisation des Schulalltags ändern mussten. Heike Schley erzählt: „Wir haben uns umgesehen, über den Tellerrand geschaut und uns gefragt: Wie schaffen das andere Schulen, die in einer ähnlichen Situation sind wie wir? Eine Methode, die ich jedem Kollegen empfehle, denn dadurch gewannen wir die Erkenntnis, dass besonders solche Schulen erfolgreich sind, die die Unterschiedlichkeit ihrer Schüler nicht nur akzeptieren, sondern zum Prinzip machen.“

Die intensiven Recherchen und Hospitationen führten dazu, dass das Kollegium 2008 zu dem Schluss kam, dass die Schule anders unterrichten und auch ihre Strukturen daran angepasst werden mussten, konkret: Es sollte jahrgangsübergreifend in Kleingruppen unterrichtet, eine Gleitzeit eingeführt und die Taktung in 45-Minuten Einheiten abgeschafft werden. Da im hessischen Schulgesetz eine solche Schulorganisation aber nicht vorgesehen ist, stellte man 2008 kurzerhand einen Modellantrag.

2 Jahre lang kämpfte die Römerstadtschule mit den Tücken der Bürokratie und den finanziellen und prinzipiellen Bedenken der Institutionen um die Umsetzung ihres Konzepts. Seit Herbst 2010 nun ist sie anerkannte Modellschule und beobachtet bereits jetzt, wie gut diese Umstellung für Kinder, Lehrer und Eltern funktioniert. Eine Erfolgsgeschichte, die erst am Anfang ist und der sicher noch viele Kapitel hinzugefügt werden und ein Bespiel, an dem sich andere Schulen orientieren können.

Genau das war auch der Grund, warum die Liga der Freien Wohlfahrtpflege, allen voran die Diakonie, die in diesem Jahr die Koordination des Aktionstages übernommen hatte, die Schulleiterin der Römerstadtschule als Referentin eingeladen hatte. „Dieser Aktionstag ist immer auch eine Gelegenheit sich auszutauschen, von anderen zu lernen und gemeinsam mit allen Verbänden, die sich im sozialen Bereich engagieren, an einem Strang zu ziehen“, so Daniel Weiss von der Diakonie. Denn das Ziel ist für alle sozialen Organisationen gleich: Akzeptanz und Unterstützung bei der Verwirklichung einer Gesellschaft, aus der niemand ausgeschlossen wird.

Das war auch Grundtenor des zweiten Vortrags dieses Nachmittags, der von Martin Brosche und Frank Jürgen Schulze gehalten wurde. Sie stellten das Projekt „Inkulive soziale Gruppenarbeit in der Grundschule der „Jugendhilfestation Altes Sägewerk“ in Schenklengsfeld-Wüstfeld vor. Die Kinder, die hier betreut werden, sind zwar nicht behindert, gelten aber als schwierig und verhaltensauffällig. Sie sind in ihrem Umfeld und vor allem in der Schule daher oft von Ausgrenzung betroffen. Das war der Grund, warum sich die Jugendhilfeeinrichtung entschlossen hatte, präventiv tätig zu werden und direkt an die Schulen zu gehen, um dort inklusive soziale Gruppenarbeit zu machen.

In Kleingruppen von ca. 8 Jungen und Mädchen bietet die Jugendhilfestation dort gezielt Nachmittagsbetreuung an, die sich ganz individuell nach dem Bedarf richtet, z.B. Aktivitäten, die das Selbstwertgefühl steigern oder die realistische Selbsteinschätzung fördern oder Bewegungsspiele für hyperaktive Kinder. Die Ziele sind dabei ganz klar formuliert: Die Kinder sollen lernen, ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken wahrzunehmen und anzuwenden, ihre Entwicklungsschwierigkeiten überwinden, Regeln und Normen akzeptieren lernen, ihre Kontakt-, Beziehungs- und Konfliktfähigkeit schulen, ihre Teamfähigkeit trainieren und eine positive Einstellung zur Schule entwickeln.

Der Schlüssel dazu ist Aufmerksamkeit und Zugewandtheit. „Die Kinder müssen merken, dass zuverlässig jemand da ist, der sich wirklich für sie interessiert.“ Eine Aufgabe, die einfach klingt, für Lehrer im normalen Schulalltag aber allein schon aus Zeitgründen oft gar nicht zu bewältigen ist. Das Projekt wird nach anfänglicher Skepsis von den Lehrer/innen, Eltern und Schüler/innen inzwischen sehr geschätzt und bestens angenommen.

Gerade die Jugendlichen waren es auch, die speziell bei dem diesjährigen Aktionstag Grundgesetz angesprochen werden sollten. Um sie geht es ja letztlich bei dem Thema inklusive Bildung. Also hatten die Organisatoren nicht nur wieder viele Infostände rund um den Heinrich-von-Bibra-Platz aufgebaut, die bei herrlichstem Sonnenschein über ihre Arbeit informierten, vom Regionalbüro des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, über die Caritas mit den Werkstätten der inklusiven Berufsschule Fulda, dem Verein „Eine Schule für alle in Fulda“, der Interessengemeinschaft „Barrierefreies Fulda“, dem Antoniusheim mit der „Startbahn“, der Lohelandstiftung, die Behinderte in den Unterricht der Rudolf-Steiner-Schule integriert, der „Lebenshilfe Hünfeld und Fulda e.V.“, dem Verein „Gemeinsam leben, gemeinsam lernen“, der Arbeiterwohlfahrt bis zu dem erst im letzten Jahr gegründeten Verein „Leben und arbeiten in Eichenzell“.

Auch das „Saftwerk“, ein Gemeinschaftsprojekt von Stadt und Landkreis Fulda, der Caritas und der Diakonie, ein Thekenwagen, in dem leckere Cocktails ohne Alkohol gemixt wurden und eine Bühne, auf der Live Musik dargeboten wurde, flankierte das Blumenrondell. Zwei junge Bands, „Ende Oktober“ und „The Crunch“, spielten und der Rapper TeMain stellte zusammen mit ein paar Jungs neue Songs seines Projektes „Von der Straße ins Studio“ für den Verein SMOG (Schule machen ohne Gewalt) vor. Abgesehen von Schwierigkeiten mit der widerspenstigen Technik, die die Künstler aber professionell überbrückten, sorgten sie alle an diesem Nachmittag für ausgelassene Stimmung bei den Kids. Die hüpften und johlten zu den Beats. „Schauen Sie mal,“ so Daniel Weiss von der Diakonie, „die nicht behinderten Kinder haben zusammen mit den Kindern mit Behinderung Spaß. Das ist subtiler als Gesetze durchzusetzen, aber ein viel größerer Erfolg.“

Der Aktionstag Grundgesetz wurde von der „Liga der freien Wohlfahrtspflege Fulda“ und dem Bündnis „Aktion Grundgesetz“ organisiert, von der Diakonie Fulda koordiniert und von Winfried Möller von der Caritas Fulda moderiert. Weitere Informationen zum Aktionstag Grundgesetz und zu den Beteiligten Verbänden und Initiativen: http://www.liga-fulda.de/

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