Wirtschaft und Arbeitsagentur zur Integration von Flüchtlingen
Nachdem Hessen den Flüchtlingen die Erstversorgung gesichert hat, haben die Arbeitsagentur und die Wirtschaft mit der zweiten und wesentlich langfristigeren Aufgabe begonnen, sie tatsächlich in Arbeit zu integrieren. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz stellten Dr. Frank Martin, Leiter der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit, und Volker Fasbender, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), ihre bisherigen Erfahrungen zum Start der Integration in Arbeit vor.
Dr. Frank Martin machte heute deutlich, dass die aus ihren Heimatländern geflüchteten Menschen, die derzeit bei den Agenturen und Jobcentern registriert sind, zu einem großen Teil noch nicht den Anforderungsprofilen der Betriebe entsprechen. In den letzten 12 Monaten wurden etwa 11.000 Menschen, die dem Personenkreis der außereuropäischen Asylzugangsländer zuzuordnen sind, bei den Agenturen und Jobcentern registriert. Davon sind rund 4.300 (40 Prozent) arbeitslos. Die restlichen 60 Prozent sind arbeitsuchend oder fallen unter die Zumutbarkeitsregelung, da zum Beispiel Kinder unter drei Jahren betreut werden müssen.
„Für Hessen ist angesichts der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung Zuwanderung ein wichtiger Stabilitätsfaktor. Wir wissen bereits heute, dass wir den kommenden Bedarf an Arbeitskräften nicht aus eigenen Reihen decken können. Die rückläufigen Arbeitslosenzahlen und steigenden Stellenmeldungen zeigen, dass wir uns keine Gedanken über einen Verdrängungswettbewerb machen müssen, der Arbeitsmarkt ist robust und aufnahmefähig. Die Aufgabe, die sich jetzt stellt, ist, die Menschen, so schnell wie möglich durch Sprach- und Integrationskurse, Praktika, Qualifizierungen oder Ausbildung an unsere Arbeitswelt mit ihren Normen und Werten heranzuführen. Dies braucht Zeit und ist nur innerhalb mehrerer Jahre zu bewältigen. Ich hoffe dabei auf schlankere Strukturen und auch schnellere Abläufe, damit wir die Menschen, die hier angekommen sind und sich einbringen wollen, nicht zu lange auf die Wartebank setzen“, so Martin.
Nach den derzeit vorliegenden Daten haben über 80 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung und davon ein Großteil noch nicht einmal einen Schulabschluss. Das verwundert Martin nicht, ist doch etwa ein Drittel des Personenkreises unter 25 Jahren. „Hier müssen unsere Bemühungen besonders greifen und das gemeinsame Ziel sein, diese jungen Menschen, zumeist junge Männer, fit für den Ausbildungsstart zu machen“, führt Martin weiter aus. „Der Fokus muss auf der Qualifizierung der Zuwanderer liegen, um einer Exklusion aus dem Arbeitsmarkt vorzubauen, die letztendlich Arbeitslosigkeit nach sich zieht“. Seit Oktober 2015 hat die Bundesagentur für Arbeit etwa 16.000 Menschen aus den Erstaufnahme-Einrichtungen Deutschkurse anbieten können, für bis zu 3.000 Personen ist die Teilnahme an einer Kompetenzermittlung („Perspektive für Flüchtlinge – PerF“) geplant und im April geht die Maßnahme für junge Flüchtlinge („Perspektive für junge Flüchtlinge – PerjuF“) an den Start.
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Es steckt vieles noch in den Anfängen, sagt Martin: „Wir sehen es als großen Erfolg an, so schnell fast 16.000 Menschen mit unseren Deutschkursen erreicht zu haben. Den großen Ansturm erwarten wir allerdings ab Mitte des Jahres. Je schneller die Entscheider des BAMF werden, umso mehr Zuwanderer werden in den Jobcenter ankommen.“
Volker Fasbender, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), analysierte: „Da wir nun 100.000 nach Hessen eingewanderte Menschen haben, deren Qualifikation wir noch nicht genügend kennen und die mit großer Wahrscheinlichkeit länger bleiben werden, müssen wir so viele so rasch in Arbeit und Ausbildung integrieren, wie irgend möglich“, beschrieb er die Herausforderung. Dass die Wirtschaft hier in hohem Maße zupackt, zeigt die Fülle der Maßnahmen über die ganze Bandbreite der Branchen. Dabei sind ‚Mangelberufe‘ keineswegs auf hochqualifizierte Tätigkeiten begrenzt. Erfolgreiche Ausbildung und ein Einkommen aus Beschäftigung sind die wichtigsten Grundlagen der Integration. Also weg mit den Hindernissen wie Vorrangprüfung und Beschäftigungssperre. Die Wirtschaft hat ein großes Interesse daran, dass sie Mitarbeiter, in deren Ausbildung sie investiert hat, in der Folge auch beschäftigen kann.“
Die Maßnahmen der Wirtschaft reichen von Praktika über Einstiegsqualifizierung (EQ) bis hin zur Förderung von Willkommensklassen. Die Wirtschaft stellt Plätze für Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BVB) zur Verfügung und bietet Werksführungen mit Erläuterung von Ausbildungsmöglichkeiten. Sie unterstützt Integrationsmaßnahmen in Kindertagesstätten und Schulen, stellt Grundausstattung für die Einschulung bereit. Sie baut ihre Ausbildungsplatzkapazitäten aus. Sie öffnet Tarifverträge zur Integration von Jugendlichen in Ausbildung für Flüchtlinge, unterstützt Förderkonzepte für Seiteneinsteiger ohne Deutschkenntnisse und stellt spezielle Praktikumsplätze mit aufbauenden Ausbildungsplätzen bereit.
Die einzelnen Branchen
Die 6.620 Unternehmen der Gebäudereinigungsbranche mit 124.00 Beschäftigten in Hessen suchen ständig ausgebildete Fachkräfte, bieten aber auch Beschäftigung für Angelernte, die nicht über deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Es gibt anhaltende Schwierigkeiten, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu besetzen. Ein Pilotprojekt für 15 Personen zum Einstieg in eine dreijährige Ausbildung zum Gebäudereiniger ist in Vorbereitung. Ein 18-tägiger Praxiskurs mit einem dreimonatigen Praktikum im Anschluss könnte im September in eine reguläre Ausbildung münden.
Die Systemgastronomie beschäftigt bereits heute Mitarbeiter aus 125 Nationen, auch Flüchtlinge. Sie sucht dringend Mitarbeiter für Crew und Management. Allerdings steht die aktuelle Rechtslage einer schnellen Integration im Weg. Vor Ablauf von 15 Monaten gilt die Vorrangprüfung.
Der Hotel- und Gastronomieverband DEHOGA Hessen berichtet von großem Interesse der Unternehmen, Flüchtlinge auszubilden oder einzustellen, um dem gegenwärtigen Fachkräftemangel in dieser Branche zu begegnen. Auch hier erweist sich die Vorrangprüfung als schwer handhabbares Instrument. Die Abschiebepraxis erschwert teilweise gelungene Integration: Im Best Western Plus Hotel Darmstadt wurde z. B. ein junger Afghane als Auszubildender eingestellt. Kurz darauf sollte er jedoch durch die Behörden abgeschoben werden. Unternehmen brauchen die Rechtssicherheit, dass eine begonnene Ausbildung abgeschlossen werden kann.
Im Bewachungsgewerbe bestehen ebenfalls Bedarf und die Bereitschaft, Flüchtlinge einzustellen. Hier sind jedoch auch Sicherheitsaspekte zu beachten. Mitarbeiter benötigen ein großes polizeiliches Führungszeugnis. Deshalb werden Einstellungen in Arbeit und Ausbildung erst mit einiger zeitlicher Verzögerung möglich sein.
Die Zeitarbeitsbranche beschäftigt aktuell 22 Prozent Ausländer und hat bereits große Erfahrungen. Da sie Kunden in allen Branchen hat, ist sie prädestiniert, bei der Integration eine wichtige Rolle zu spielen. Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen, IGZ, bereitet eine Schulungsmaßnahme mit abschließender Personenzertifizierung für Mitarbeiter von Mitgliedsunternehmen vor, um diesen die psychologischen, kulturellen und rechtlichen Kenntnisse zu vermitteln, die bei der Einstellung von Flüchtlingen hilfreich sind. Viele Unternehmen der Zeitarbeitsbranche bereiten Pilotprojekte für Flüchtlinge vor. In der Regel sind Zeitarbeitsunternehmen auch als Personaldienstleister tätig. Sie vermitteln Arbeitnehmer, was jederzeit zulässig ist. Aber die Beschäftigungssperre bis 15 Monate hat in der Praxis überwiegend die Funktion einer bürokratischen Hürde, die die Welt etwas komplizierter macht, als sie sein müsste.
In der Metall- und Elektro-Industrie haben wir im Dezember Ergebnisse einer Umfrage publiziert. Danach sind die M+E-Unternehmen in hohem Maße bereit, Flüchtlinge über Einstiegsqualifizierungen an Ausbildung und Jobs heranzuführen und in Arbeit zu integrieren. Schon jetzt haben über 6 Prozent Flüchtlinge eingestellt, über 30 Prozent haben es kurzfristig geplant. „Das halten wir für erstaunlich hohe Zahlen, wenn man in Betracht zieht, wie kritisch die M+E-Unternehmen die Qualifikation der Azubis bewerten, wie schwer es aktuell noch ist, Flüchtlinge überhaupt zu rekrutieren und dass es in unserer Industrie praktisch kaum Helferjobs gibt“, so Fasbender. In den anderen Industriezweigen – Chemie, Pharma, Bauindustrie – gebe es ebenfalls viele Beispiele zur Aus- und Weiterbildung