Umgekehrte Welt in der Heubacher Synagoge
Aufmerksam hörte eine stattliche Gruppe Erwachsener den hellen Stimmen der Schulkinder zu, die sie durch das historische Gebäude führten. Das ungewöhnliche Angebot war ein Teil des Programms, das der Förderverein der Synagoge zusammengestellt hatte, um an die Übergabe des renovierten Gebäudes vor zehn Jahren zu erinnern.
Das Zuhören lohnte sich: Die Kinder aus Heubach und Uttrichshausen, die die einzelnen Führungsstationen mit Hilfe ihrer Lehrerin Henrike Stuwe erarbeitet hatten, wussten viele Details zur Geschichte des Gebäudes, aber auch zu Fragen der jüdischen Religion und ihrer Gebräuche zu berichten und bekamen dafür viel Beifall.
Einen besonderen Blick auf Geschichte und Gegenwart gab es bei einer Gesprächsrunde unter dem Titel „Verlorene und gefundene Schätze“. In einem vom Vorsitzenden des Fördervereins, Hartmut Zimmermann, moderierten Gespräch ging es um die Frage, was die Erfahrung von Flucht, Vertreibung und Heimatverlust mit Menschen machen. Darauf gaben aus ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Zeitumständen drei Gesprächspartner Antwort: Karl Josef Gruber sprach (stellvertretend für seine Patentante Maria („Miezi“) Jäger. Die war Ende der 1940er Jahre als Heimatvertriebene aus Böhmen nach Heubach gekommen. Der 1960 im Iran geborene Hashem Savoji schilderte seinen Weg, der ihn über England nach Fulda und schließlich nach Sickels führte. Der in Neuhof lebende Syrer Burhan Alchoufi gab Einblick in seine Situation. Der 36-jährige Apotheker kam vor 17 Monaten nach Deutschland. Er schilderte nicht nur die Umstände, die ihn nach Deutschland brachten, sondern gab auch gleich eine Kostprobe davon, wie gut er bereits in der deutschen Sprache zu Hause ist. Zimmermann betonte, dass fast in jeder Generation Menschen das Weggehen-Müssen, dass Fremdsein und Neuanfänge erlebten. Das verbinde Heimatvertriebene von 1946 und die Flüchtlinge von heute auch mit dem Schicksal der Juden in Deutschland und Heubach.
Bei einem Empfang, der den Tag eröffnete, hatte Hartmut Zimmermann die Gäste willkommen geheißen. Die ehemalige Synagoge stehe als Erinnerung für eine lange Zeit eines vergleichsweise normalen Miteinanders von Juden und Christen. Sie sei aber auch ein „Auslassungszeichen“, das an die „von viel zu vielen nicht verhinderte“ Verfolgung und Ermordung der Juden in der Nazizeit erinnere. Zimmermann würdigte die Kraft und die Zuversicht derer, die das Projekt Anfang der 2000er Jahre angepackt und das Haus vor dem Verfall bewahrt hätten. Insbesondere nannte er die Mitgründerin und heutige Ehrenvorsitzende des Fördervereins, Pfarrerin Johanna Rau, und Kalbachs Altbürgermeister Karl-Heinz Kaib. Rau erinnerte in einem Blick zurück an die spannende Startphase des Projekts. Das wieder erstandene Haus versuche deinen Leitsatz des Philosophen Martin Buber umzusetzen: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
In Grußworten unterstrichen Kalbachs Erster Beigeordneter, Markus Hackenberg, Ortsvorsteher Gerhard Müller, Pfarrerin Inga Siemon und der Vorsitzende des Heimatvereins Heubach, Hugo Rensch, den Wert der Synagoge als Ort der Begegnung, der Erinnerung und des Austauschs. Mit jazzigen Klängen ließen Heiko Ommert, Kurt Adolph und Petra Wiehe den Tag ausklingen.