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TV-Ärzte schüren Ängste – Kai Witzel stellt Studie vor

Hünfeld. Wenn Patienten überdurchschnittlich viel Krankenhaus- und Arztserien sehen, fürchten sie sich mehr vor einer Operation. Das ergab eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Geleitet wurde die Untersuchung von Professor Kai Witzel, der gleichzeitig Chirurg und Kommunikationswissenschaftler ist. Sein „leiser Verdacht“, dass die dramatischen Szenen im Fernseh-OP auch auf die Erwartungen der Patienten abfärben, wurde nun bestätigt.

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Befragt wurden 162 Patienten des Krankenhauses in Hünfeld, die wegen eines Leistenbruchs oder zur Entfernung von Gallensteinen ins Krankenhaus gekommen waren. Keiner war in den vergangen zehn Jahren im Krankenhaus gewesen, Fälle mit Komplikationen wurden ausgeschlossen. Trotzdem hatten 25 Prozent der Befragten existenzielle Ängste vor den vergleichsweise leichten Operationen. Darunter war der Anteil der Konsumenten von Arztserien im Fernsehen überdurchschnittlich hoch. „Im Operationssaal ist der Patient dem Operateur ausgeliefert. Niemand weiß vorher, wie es dort ist“, beschrieb Witzel die Erfahrung der Patienten.

Im Fernsehen aber sei der Patient immer kurz vorm Verbluten, dem Operateur werde der Schweiß von der Stirn getupft. Zum Glück sei der Alltag im echten OP eher langweilig, das aber wolle niemand im Fernsehen sehen. Bei jahrelangem Konsum von Krankenhausserien würden die dramatischen Szenen dann als realistisch eingeschätzt.

Auch nach der Operation wirkt sich der Fernsehkonsum auf die Erwartungen der Patienten aus. Witzel hatte alle Befragten selbst operiert und visitiert. Wer viele Arztserien schaute, gab ihm wesentlich schlechtere Noten für die Kommunikation am Krankenbett. Setzt sich doch der Arzt im Fernsehen erst mal gemütlich auf die Bettkante, um die Sorgen der Patienten in Ruhe zu besprechen.

Ihm selbst aber reiche nach einer normalen Leistenbruch-OP eine Minute, um den Zustand des Patienten fachlich beurteilen zu können, sagt Witzel. „Der Patient aber wünscht sich weitergehende persönliche Kontakte“, weiß er durch seine Studie: „Er misst der Kommunikation mit Ärzten und Pflegepersonal einen enorm hohen Stellenwert bei.“

Am mitfühlenden Verhalten der Fernsehärzte bei der Visite sollten sich auch die echten Ärzte orientieren, fordert Witzel nun. Schließlich sei die Patientenzufriedenheit eines der wesentlichen Steuerungsinstrumente in der Klinikleitung. Bei wachsender Konkurrenz unter den Krankenhäusern könne sich der zeitliche Mehraufwand für sie auch betriebswirtschaftlich lohnen. Allerdings sei im heutigen Klinikalltag „kein Zeitpotenzial für eine längere Visite vorhanden“.

Ärzte und Krankenhäuser sind beliebte Themen unter den Fernsehserien. 34 Titel von „Am liebsten Marlene“ bis „OP ruft Dr. Bruckner“ verzeichnen einschlägige TV-Führer. Zu den beliebtesten deutschen Formaten zählt „In aller Freundschaft“ (MDR).

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