Logo

Junge Mediziner für Tätigkeit im ländlichen Raum gewinnen

Fulda. Der Landkreis Fulda will sich für eine grundlegende Änderung der Ausbildung und Vergütung von Ärzten einsetzen, um dem drohenden Ärztemangel im Hünfelder Land und in der Rhön entgegen zu wirken und die Qualität der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum zu erhalten.

Weitere Schritte sind notwendig

Erster Kreisbeigeordneter Dr. Heiko Wingenfeld vereinbarte mit Dr. Thomas Vietor von der Notdienstgemeinschaft und Bernhard Licht vom Gesundheitsnetz Osthessen (GNO) ein gemeinsames Vorgehen, um drohenden Einschnitten in der medizinischen Versorgung vorzubeugen. Mindestens halbjährlich will man sich zu einem „runden Tisch“ treffen, um die weiteren Schritte zu beraten. Wingenfeld: „Kommunalpolitik und Ärzteschaft haben sich in der Vergangenheit zu wenig abgestimmt. Das muss sich ändern. Nur wenn die vor Ort Verantwortlichen an einem Strang ziehen, kann es gelingen, die Gesetzgebung im Bund und die Strategie der Krankenkassen zu beeinflussen.“

Organisation des ärztlichen Bereitschaftsdienstes

Hinsichtlich der seit 1. Oktober 2008 umgesetzten Zentralisierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Räumlichkeiten des Klinikums Fulda betrachtet es der Erste Kreisbeigeordnete als selbstverständlich, unter allen Umständen zu gewährleisten, dass kein Patient vor der Zentrale im Freien warten müsse. Dr. Vietor betonte, dass es sich bei dem Patientenandrang zwischen Weihnachten und Neujahr um eine absolute und kurzzeitige Ausnahmesituation gehandelt habe. Angesichts der Erfahrungen im Dezember habe man in Abstimmung mit dem Klinikum aber weitere Vorsorge getroffen, um einen unerwarteten Patientenandrang in Zukunft besser bewältigen zu können. So wies Dr. Vietor darauf hin, dass alle Wartenden jederzeit auch die unmittelbar benachbarte Eingangslobby des Klinikums nutzen könnten. In aller Regel seien aber im Wartebereich ausreichend Plätze vorhanden.

Aus Sicht der Ärzteschaft ist noch viel zu wenig bekannt, dass für Patienten, die nicht mobil seien, weiterhin ein Hausbesuch durch den Bereitschaftsdienst möglich ist. „Fünf Ärzte leisten permanent diesen Fahrdienst. Wir haben bislang noch keine Beschwerden erhalten, dass es hier zu unzumutbaren Wartezeiten gekommen sei“, unterstrichen die Vertreter der Ärzteschaft beim Gespräch im Landratsamts, an dem auch der Leiter des Kreisgesundheitsamts, Dr. Stefan Kortüm, teilnahm.

Zentralisierung ist richtig und wichtig

Dr. Wingenfeld bat nochmals zu überprüfen, ob die Ärzteschaft ihre Entscheidung zur Zentralisierung des Bereitschaftsdienstes revidieren und künftig im Bereich Hünfeld und Rhön wieder einen dezentralen Bereitschaftsdienst anbieten könnten. Dr. Vietor und Bernhard Licht betonten, dass sich die Ärzte vor Ort schlicht nicht mehr in der Lage sähen, ein dezentrales Angebot in Hünfeld und in der Rhön vorzuhalten. „Nach den Erfahrungen der letzten drei Monate ist die ganz überwiegende Mehrheit der Kollegen der Überzeugung, dass die Zentralisierung richtig ist“, berichteten Dr. Vietor und Bernhard Licht. Nur die Zentralisierung des Bereitschaftsdienstes und die damit verbundene Verteilung der Dienste auf mehr Schultern bringe den Ärzten die dringend erforderliche Entlastung.

Nach Auffassung der Ärztevertreter ist die Zentralisierung eine Chance, die Arbeit als niedergelassener Arzt im ländlichen Raum wenigstens ein kleines Stück attraktiver zu machen und wieder ärztlichen Nachwuchs zu gewinnen. „Tatsächlich haben wir fast überhaupt keine jungen Ärzte, die bereit sind, sich im ländlichen Raum niederzulassen und sich mit den wenigen Kollegen vor Ort – wenn es sie überhaupt noch gibt – die Belastung des Bereitschaftsdienstes zu teilen.“ In immer mehr Fällen stünden Allgemeinmediziner vor dem Problem, keinen Nachfolger für ihre Praxis zu finden.

Hünfelder Land und Rhön droht akuter Ärztemangel

Auch der Landkreis Fulda sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Gewinnung von ärztlichem Nachwuchs. Derzeit sei die Versorgung mit Allgemeinmedizinern im gesamten Landkreis noch gewährleistet. „Wenn sich aber nicht bald etwas strukturell ändert, werden wir schon in drei bis fünf Jahren in der Rhön und im Hünfelder Land drastische Einschnitte spüren, weil viele Allgemeinmediziner allein aus Altersgründen ihre Tätigkeit aufgeben werden“, prognostiziert Wingenfeld. Im Landkreis Fulda sei die Situation im Vergleich zu anderen hessischen Regionen bereits jetzt besorgniserregend. So gebe es sechs Hausarztstellen, die mangels Interessenten nicht wiederbesetzt werden könnten.

Derzeit sei es fast unmöglich, junge Ärzte für eine Niederlassung im ländlichen Raum zu gewinnen. Viele Medizinabsolventen würden eine Tätigkeit im Ausland oder das Arbeiten im Team in einer Klinik der klassischen Niederlassung vorziehen. Da Medizinabsolventen heute zu sechzig Prozent weiblich seien, stelle sich für junge Mediziner viel stärker als früher die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Von daher erscheine eine klassische Tätigkeit als Hausarzt mit häufigen Bereitschaftsdiensten heute leider besonders unattraktiv, vermutet Dr. Wingenfeld.

Änderungen bei Ausbildung und Vergütung zwingend erforderlich

Eine Lösung für den drohenden Ärztemangel könnten weder der Landkreis noch die Gemeinden vor Ort anbieten. Der Schlüssel liege vielmehr beim Bundesgesetzgeber und den Krankenkassen. „Wir brauchen mehr ausgebildete Mediziner und konkrete Anreize für eine Tätigkeit im ländlichen Raum“, fordern Dr. Wingenfeld, Dr. Vietor und Bernhard Licht übereinstimmend. So sei es wichtig, eine höhere Zahl von Bewerbern zum Medizinstudium zuzulassen. Zum anderen müssten konkrete Anreize für eine Arbeit auf dem Land geboten werden. „Dazu reicht es aber sicher nicht, wenn sich eine Gemeinde entschließt, ein günstiges Baugrundstück oder Praxisräume zur Verfügung zu stellen“, betont Dr. Wingenfeld. Vielmehr müsse die Vergütungsstruktur für Ärzte grundlegend geändert werden. Das bedeutet nach Meinung Wingenfelds aber auch, dass die medizinische Versorgung in Zukunft tendenziell teurer werde.

Die Anliegen einer strukturellen Änderung bei der Medizinerausbildung und bei der Vergütung will Dr. Wingenfeld gemeinsam mit den Vertretern der Ärzteschaft kontinuierlich an die Verantwortlichen in Land und Bund herantragen. Hierzu sollen regelmäßige Arbeitstreffen zwischen dem Landkreis und der Ärzteschaft vor Ort dienen. „Das ist sicher ein langer und steiniger Weg. Ohne grundlegende Änderung auf Seiten des Bundes und der Krankenkassen werden wir aber aus eigener Kraft nicht in der Lage sein, die vor uns stehenden Herausforderungen zu meistern – das gilt sowohl für den ärztlichen Bereitschaftsdienst als auch die Ärzteversorgung.“

Categories:

Alle Nachrichten, Gesundheit & Medizin, Wissenschaft & Technik