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„Anerkennung ist wichtiger als Beachtung“ – Sonntagsgedanken von Pfarrer Werner Gutheil

Hanau. Anerkennung ist wichtiger als Beachtung  Haben Sie sich beim Lesen der Überschrift womöglich gefragt, warum sie so genau zwischen zwei Begriffen unterscheidet, die doch so ähnlich sind?   Tatsächlich besteht zwischen beidem ein großer Unterschied, ein Unterschied jedoch, der in der Hektik unseres Alltags leicht übersehen werden kann, was wiederum ungeahnte Folgen hat. Ein Beispiel mag den Unterschied verdeutlichen, den ich meine. 
Ein kleines Kind erledigt zum ersten Mal sein „großes Geschäft“ allein. Voller Stolz ruft es die Mutter zum Topf und zeigt, was es geschafft hat. Die Mutter wiederum würdigt das „Geschäft“ als solches. Sie sieht das Ergebnis, und ihm schenkt sie Beachtung. Was in alledem untergeht, ist die Leistung des Kindes: Es hat zum ersten Mal selbständig eine Leistung vollbracht, auf welche die Eltern ja hin wirkten. Und nun, da die Leistung vollbracht, das damit verbundene Erziehungsziel gleichsam erreicht ist, findet das Ergebnis Beachtung, jedoch die Leistung des Kindes keine Anerkennung. Das Verhalten der Mutter ist gut gemeint und damit einmal mehr das Gegenteil von gut.

Ein drastisches Beispiel, fürwahr, und dazu eines aus einem Bereich, über den zu sprechen nicht einfach, manchem vielleicht sogar unangenehm ist. Gerade deshalb macht es deutlich, was ich im Alltag oft genug beobachte, auch in weniger drastisch wirkenden Bereichen unseres Lebens: Ein Ergebnis findet Beachtung, die dahinter stehende menschliche Leistung jedoch keine oder kaum eine Anerkennung.

Führt man sich die Leistungsgesellschaft plastisch vor Augen, in der wir leben, so wird das Paradox erst richtig deutlich: Wie kann auf Dauer jemand leistungsfähig bleiben, wenn er nur auf die Beachtung der erzielten Ergebnisse rechnen kann? Und wie soll der Wille zur Leistung, der in moderner Sprache meist „Motivation“ genannt wird, bleiben, wenn der Mensch hinter der Leistung keine Anerkennung findet?  Und wie viel wichtiger ist die Anerkennung – im Vergleich zur Beachtung – im Privaten, also da, wo es überhaupt nicht in erster Linie um Ergebnisse gehen sollte, sondern um die Menschen. Die Erziehung des Kindes, um noch einmal auf das genannte Beispiel zu kommen, muss unter anderem auch eine Erziehung zu Leistungen sein. Aber der Weg zu dieser Erziehung kann, wie ich meine, nur die vorrangige Anerkennung des Menschen sein.

Im Freundeskreis hingegen und auch in Partnerbeziehungen steht idealiter der Mensch im Vordergrund. Zuneigung beruht auf dem, was der Mensch ist – ihm gebührt die Anerkennung. Weit weniger wichtig ist da die bloße Beachtung von Ergebnissen, von Erreichtem.  Mehr Anerkennung füreinander und weniger Beachtung für bloße Ergebnisse – das könnte ein Ansporn sein, Mitarbeiter in einem anderen Licht zu sehen und Freundschaften zu pflegen. Es wäre dann auch ein denkbar wirksames Rezept gegen die Einsamkeit mitten unter Menschen als eine der großen Erscheinungen unserer Zeit.

Werner Gutheil
Katholische Klinikseelsorge
Klinikum Hanau
Ethikberater im Gesundheitswesen

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