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Seltene Spinnen im „Urwald von morgen“ – Kernzonenforschung im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön

Fischbach. Behutsam streicht Karola Marbach mit einem Kescher aus weißem Leinen über die zarten Äste einer jungen Rotbuche. Mit einer Pinzette entnimmt sie die nur wenige Millimeter großen Spinnen und schließt sie in einem kleinen Glasgefäß ein. Die Geografin ist für die Forschung in den Thüringer Kernzonen des Biosphärenreservats Rhön zuständig. Kernzonen sind ausgewiesene Gebiete, in denen keine Bewirtschaftung durch den Menschen mehr stattfindet. Die Natur bleibt sich hier komplett selbst überlassen.  

Urwälder von morgen

Der Leiter der Thüringer Verwaltungsstelle, Karl-Friedrich Abe, vergleicht Kernzonen auch mit „genetischen Safes“. Aufgrund des hohen Anteils an abgestorbenen Bäumen könne sich dort eine ganz spezielle Flora und Fauna entwickeln. Viele Insektenarten seien zwingend angewiesen auf das sich langsam zersetzende Holz. „Unsere Kernzonen sind die Urwälder von morgen“, sagt Abe. Ihre Erforschung hinsichtlich der Artenvielfalt habe jedoch erst vor wenigen Jahren begonnen. Im Thüringer Teil des Biosphärenreservats Rhön konzentriere sie sich zunächst auf Spinnen und Käfer.

Karola Marbach ist in regelmäßigen Abständen in der Kernzone „Sommertal“ bei Fischbach (Wartburgkreis) und in der Kernzone „Rhönwald“ bei Oberweid (Landkreis Schmalkalden-Meiningen) unterwegs, um Spinnen zu fangen oder um Funde aus den aufgestellten Fallen zu entnehmen. Für die wissenschaftliche Auswertung sorgen anerkannte Biologen und Entomologen aus Gotha, Eisenach, Göttingen und dem Harz.

Etappenziel erreicht

„Die bisherigen Ergebnisse können sich sehen lassen“, sagt Marbach. Zwei Spinnenarten seien Neufunde für Thüringen. Eine davon, die Baldachinspinne (Linyphiidae)  Gongylidiellum edentatum, werde in der Roten Liste sogar in der Kategorie „R“ geführt. Sie gelte damit als große Seltenheit und habe in Deutschland bisher nur wenige Vorkommen. In der Kernzone „Rhönwald“ gebe es laut Marbach zwei weitere Arten aus der Familie der Baldachinspinnen, die bislang erst einmal in Thüringen beschrieben worden seien.

„Die Kernzonen im Biosphärenreservat Rhön unterliegen einer regelmäßigen forstlichen Inventur“, sagt Marbach. Die Baumarten, das vorhandene Totholz sowie die Bestandteile der Kraut- und Strauchschicht würden genau registriert und dann bei der nächsten Inventur verglichen. Veränderungen und Entwicklung der naturnahen Wälder könnten auf diese Weise „sichtbar“ gemacht werden. Momentan spreche alles dafür, dass sich die Kernzonen des Biosphärenreservats Rhön in der Tat zu Rückzugsgebieten für seltene und vom Aussterben bedrohte Arten entwickeln. Das betreffe längst nicht nur Spinnen und Käfer. „Hier finden der Schwarzstorch und viele Spechtarten Unterschlupf, und wir haben sichere Nachweise für den Feuersalamander und die Rhönquellschnecke“, betont Marbach. Besonders bei Flechten sei momentan eine Zunahme der Arten zu verzeichnen. Dies liege unter anderem an der besser gewordenen Luftqualität in den letzten 20 Jahren im Biosphärenreservat Rhön.

Monitoring der Artenveränderung

In Bayern obliege die Kernzonenforschung der Bayerischen Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft, sagt die stellvertretende Leiterin der Bayerischen Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats Rhön, Doris Pokorny. Dabei gehe es hauptsächlich um das Monitoring der Artenveränderung in den Wäldern, um Rückschlüsse auf die Waldbewirtschaftung der Zukunft ziehen zu können.

In Hessen stehe die Kartierung und Erforschung der Quellen im Vordergrund, gibt der Sachgebietsleiter Biosphärenreservat Rhön beim Landkreis Fulda, Martin Kremer, Auskunft. In verschiedenen Quellen seien die Rhönquellschnecke und der Alpenstrudelwurm als äußerst seltene Arten nachgewiesen worden. Oft sei die Forschungsarbeit in den Kernzonen auch Thema für Diplomarbeiten und eigne sich für die wissenschaftliche Arbeit der Universitäten.

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