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Zu wenig Zeit zum Trauern – Gedanken von Pfarrer Werner Gutheil

Hanau. Lesen Sie hier die Gedanken von Pfarrer Werner Gutheil zum Suizid von Robert Enke und zum Thema „Trauer“. „Durch den Suizid eines hoffnungsvollen Fußballstars in jungen Jahren, kommt ein Thema an die Öffentlichkeit, das gerne „Totgeschwiegen“ wird. Er sagt in einem Interview, dass er zu wenig um sein Kind getrauert habe. Hier geht es nicht um Anklage: wer hat was Schuld bemacht, sondern darum für die Zukunft etwas aus diesem Schicksal zu lernen. Damit hat der Tod dieses jungen Mannes, die Krankheit und das Sterben seiner Tochter und die Trauer seiner Frau vielleicht einen Sinn…

Trauer braucht Zeit

Zu schnell zum Alltag übergehen, als würde einem ein solcher Schicksalsschlag nichts ausmachen, ist fatal. Männer sind da gefährdeter als Frauen. Sie sprechen und klagen, sie weinen und suchen ihre Form der Trauer. Männer (ohne jetzt von Robert Enke zu sprechen) sind da schneller wieder im Alltagsgeschäft, erhalten dadurch ihre Struktur wieder.

Trauer braucht Erlaubnis

Das Umfeld ist froh, wenn die Menschen wieder „normal“ sind, so als wäre nichts geschehen. Deshalb ist es wichtig, dass Trauernde die Erlaubnis zur Trauer bekommen. Sätze wie: jetzt ist aber gut, jetzt muss du wieder zum Alltag übergehen, rauben den Trauernden die äußere Freiheit der Trauer einen Ausdruck zu geben, wie Weinen und traurige Gesichter.

Trauer braucht Ermutigung

Leider glauben Nichtbetroffenen jungen Eltern sagen zu müssen: ihr seit doch noch jung, ihr könnt doch noch ein Kind bekommen. Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie, denn damit wird das geliebte Kind zum reproduzierbaren Objekt, ist ersetzbar. Ist es doch das wichtigste im Leben. Selbst wenn Geschwisterkinder schon vorhanden sind, es ist und bleibt das geliebte Kind. Deshalb die Ermutigung zur Trauer.

Trauer braucht individuelle Anerkennung

„Es war doch noch nichts“, bekommen Eltern gesagt, deren Kind in der Schwangerschaft verstirbt. Frühe Fehlgeburten werden mit späten Todgeburten verglichen. Bei Robert Enke wurde anerkannt, dass seine Tochter „schon einige Zeit gelebt hat, ja um sie kämpfte“. Es ist und bleibt das Kind. Frauen bekommen mit der Diagnose der Schwangerschaft einen Mutterpass, sind also Mütter. Wie kann dann ein Kind, das in der Schwangerschaft verstirbt „noch nichts gewesen sein“? Mütter bleiben Mütter und Väter bleiben Väter. Dies muss anerkannt werden. Selbst wenn 90 jährige Mütter und Väter am Grab ihrer Kinder stehen. Es unnatürlich, wenn die biologische Reihenfolge umgekehrt wird. Also muss jede Trauer individuelle Anerkennung finden.

Trauer braucht einen Ort

Friedhöfe und Grabstätten sind hier wichtig. Robert Enke hat sogar auf eine berufliche Veränderung verzichtet, um diesen Ort zu haben, erreichbar zu haben. Gestaltungsvorschriften über Höhe und Breite des Grabsteines, über Umrandungen und Spielsachen wollen der Trauer eine Norm geben. Sie braucht aber einen Ort, der so gestaltet wird, wie es die eigenen Trauer zur Bearbeitung verlangt. Kirchen könnten hier auch solche Orte sein, besonders für jene, die keine so kirchlichen Bezug haben.

Trauer braucht ein Grab mit unendlicher Zeit

Warum werden dann Kindergräber mit einer kürzeren Belegungszeit auf unseren Friedhöfen „vermietet“. Ich frage mich, ob Robert Enke mit seinen gut 31 Jahren, ein „normales Reihengrab“ mit 15 jähriger Belegungszeit hat. Dann hätte dieser junge Mann zu seinem 50. Geburtstag kein Grab mehr seines Kindes. Früher wurden Kindergräber automatisch solange erhalten, wie die Pflege sichergestellt war. Eine Gesellschaft, die auf die Trauer um ihre Kinder keine Rücksicht mehr nimmt, ist bald am Ende.

Standarts und Gebührenordnungen verhindert hier Trauer. In England sind Gräber teilweise ohnehin nur durch einen Grabstein erkennbar. Statt aufwendiger Bepflanzung und Pflege sind es die Grabsteine, die mahnend an den Tod aber auch an der Leben erinnern. Warum eine Zeitbegrenzung von Kindergräbern auf unseren Friedhöfen, wenn wir den Eltern es lieber überlassen sollten, wie lange sie ihr Grab pflegen wollen. Der Stein sollte dann als Mahnung erhalten bleiben, solange, bis gar niemand mehr sich darum zu kümmern scheint.

Trauer braucht Kultur

Der Tod um Robert Enke zeigt, wie die anderen Katastrophen, dass Trauer doch ein Thema in unserer Gesellschaft ist. Kirchen und Friedhöfe sind die Orte, die daran erinnern. Und doch scheinen die Menschen mehr zu brauchen: sie brauchen im Moment der Trauer Gemeinschaft und eine Kultur, die ihre Trauer einen Ausdruck gibt. Es ist schön, wenn hohe kirchliche Würdenträger sich bei Robert Enke versammelt haben und ermutigende Worte gefunden haben.

Aber wer denkt an den jungen Vater, der seine 38-jährige Ehefrau mit einem 11-jährigen Sohn Beerdigungen muss? Welche öffentliche Trauerform haben die Eltern eines 3-jährigen, der durch einen Unfall den Eltern genommen wurde und um den eine ganze Familie trauern. Es sind dann Zufälle, wenn diese eine gute Begleitung und eine hilfreiche Trauerkultur erleben dürfen. Hier sind unsere Kirchen gefragt. Hier kann altes und neues aus dem Schatz der reichen Erfahrung der Kirchen geholt werden.

Diese Gedanken wollen nicht in den Chor der „Bewertungen und Beurteilungen“ schon mal gar nicht Verurteilungen um den Tod von Robert Enke und seiner Depression einstoßen, sondern wollen den Blick dafür öffnen, dass ein solcher Tod immer eine Aussage und eine Mahnung für die Hinterbliebenen und Zurückgebliebenen sein kann. Diese Gedanken erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sind ausgelöst durch die Flut an Bildern und Wort im Fernsehen, Texten in Zeitungen und im Internet und Kommentare und Gedanken im Radio.

Gerne stehe ich für Anregungen und Rückfragen zur Verfügung. Möchte eigentlich einen Erfahrungsaustausch anregen, weil somit vom Einzelfall etwas für die Allgemeinheit gefunden wird. Sie können mir gerne Mailen: Wgutheil@t-online.de Bitte geben Sie ihr Einverständnis, dass Ihre Mailadresse an eine hoffentlich lange Mailingliste gehängt wird, die positive Gedanken austauschen wollen. Anonyme Mails werden nicht veröffentlicht oder weitergegeben.

Schöne wäre es, wenn am Ende gute Ideen zusammenkommen, die dann der Öffentlichkeit vorgetragen werden. Politiker, die für unsere Friedhöfe Verantwortung tragen, möchte ich auf diesem Weg von meinen Gedanken informieren und daraus konkrete Anregungen ableiten.“ (Pfarrer Werner Gutheil)

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