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19.000 Zuschauer genossen den Sound vergangener Tage

Schönes aus Schotten. Schotten wurde am Wochenende zum Mekka der Motorradfans. Ab Freitagabend herrschte „Ausnahmezustand”: Die Motorradfans hatten das Vogelsbergstädtchen fest im Griff und feiern die Renn-Idole vergangener Tage. Bereits zu den Trainingsläufen kamen am Samstag 8.500 Zuschauer, am Sonntag waren es dann 10.500 Besucher, die auch die längste Anfahrt nicht scheuten, um Stars und deren teilweise nostalgische Technik auf einem 1.400 Meter langen Kurs zu bestaunen. Die ehemaligen Weltmeister Dieter Braun, Rod Gould, Jan de Vries und Co. – ein paar Jährchen älter, aber keinesfalls ruhiger oder langsamer geworden – mussten pro Tag über 1000 Autogrammkarten verteilen und unzählige T-Shirts und Helme signieren.

Fotos (21) und Text: Manfred Möll

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Bereits am Freitagabend wurden die vielen Stars vergangener Tage mit ihren lautstarken Vier- und Zeitaktmaschinen und den spektakulären Gespannen von Schottens Bürgermeisterin Susanne Schaab-Madeisky und 1.000 Schaulustigen am Alten Rathaus empfangen. Am Samstag und am Sonntag drehten sie dann ihre Show- und Wertungsrunden mit ihren historischen Rennsportmaschinen und spektakulären Gespannen. Besonders Mutige konnten in der Mittagspause als „Schmiermaxen“ in Seitenwagenmaschinen mitfahren.

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Der Grand Prix erinnert nicht bloß im Namen an die über 80-jährige Vogelsberger Motorsporttradition, sondern bot auch Zwei- und Dreiradrennsport vom Feinsten. Kern der Veranstaltung sind zwei Wertungsläufe zur Deutschen Historischen Motorradmeisterschaft (DHM). In zwölf Klassen von „Antik“ (das älteste Motorrad war Baujahr 1902!) bis zu den „Kneeler“-Gespannen der späten 1960er-Jahre wurde um Meisterschaftspunkte gekämpft. Dabei ging es für die insgesamt rund 420 (!) Rennfahrer nicht um den simplen Zieleinlauf, sondern um gleichmäßiges Fahren, um die möglichst geringe Zeitabweichung von Runde zu Runde.

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Besonders Augenmerk galt indes den Sonderläufen, einer weiteren Spezialität der Schottener Veranstaltung. Der ehemalige Yamaha-Werksmechaniker Ferry Brouwer brachte sein Yamaha Classic Racing Team mit den (Zweitakt-)Weltmeistern und Grand-Prix-Siegern Braun, Gould, de Vries, Mortimer, Schurgers, Korhonen und Duff. Im Schneider/Mulstege-Sonderlauf beeindruckten vor allem die Viertaktrenner von NSU Bullus (1930er) und NSU Sportmax (1950er). Gleich zwei Sonderläufe widmeten sich den Gespannen, wobei Ralf Engelhardt als sechsfacher Weltmeister und Ralph Bohnhorst seit Jahren besondere Publikumslieblinge sind. Bohnhorst hatte den 82-jährigen Briten Stanley Dibben im „Boot“. Dibben wurde 1953 Seitenwagen-Weltmeister und ist noch auf dem alten Schottenring gefahren. Traditionsreich ist auch die Riege der Sondermaschinen im Sonderlauf des VFV (Veteranen-Fahrzeug-Verband).

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Randnotizen

Rolf Steinhausen: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“

„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, versprach Rolf Steinhausen. Im Vorjahr erstmals in Schotten, war der zweifache Seitenwagen-Weltmeister von 1975 und 1976 auf Anhieb begeistert von der einzigartigen Atmosphäre der Veranstaltung und der Vogelsberger Gastlichkeit. Damals versprach er für 2007 mit der ersten von einem Zweitaktmotor angetriebenen Seitenwagenmaschine an den Start zu gehen. Es handelt sich um einen von einem Bootsantrieb (!) abgeleiteten König-Motor. Steinhausen hat aber das Getriebe an den Solofahrer Kurt Florin verliehen, der sich besonders um die Pflege der in den 1970er-Jahren eingesetzten 500-ccm-Solo- und Gespannmotorräder verdient macht. Steinhausen versprach aber einen Start für 2008.

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Steinhausen debütierte 1972 in der WM auf dem Nürburgring (damals noch die „Grüne Hölle“ Nordschleife) als erster und einziger Fahrer mit dem Zweitaktmotor und führte prompt überlegen – bis sein Beifahrer im Eifer des Gefechts beim Rumturnen im Beiwagen ein Kabel abriss! 1973 gab es schon vier Zweitakter in den Top Ten, aber verdientermaßen holte Steinhausen 1975 den ersten Welttitel und löste damit einen Generationswechsel aus.

„Crazy sidecar drivers“?!

Die Kanadierin Michelle Duff, als Mann unter dem Namen Mike Duff 1965 250-ccm-Vizeweltmeister und einziger Grand-Prix-Sieger seines Landes in der knapp 60-jährigen Geschichte der Motorrad-Weltmeisterschaft, wurde Steinhausen vorgestellt. Duff kurz und knapp: „Side car drivers are all crazy!“ – “Yes, but solo riders are crazier”, konterte Steinhausen! (Man beachte die unterschiedliche Übersetzung des Wortes „Fahrer“ als driver und rider im Englischen.)
In der Tat galt die Seitenwagenzunft als ein besonderes „Völkchen“ im Fahrerlager. Davon zeugten denn auch die vielen urkomischen Anekdoten von Unvergessenen wie Dieter Busch und Helmut Fath, die Steinhausen zu erzählen wusste. Übrigens: Steinhausen war der erste, der die neugebaute Autobahn A 4 (zwischen Olpe und Köln) befuhr. Er probierte dort sein Gespann aus – eine leere Autobahn ist nun mal eine optimale Strecke für Highspeedtest…

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Der verschwundene Opa

Am Sonntag klingelte das Telefon beim MSC Rund um Schotten und eine aufgeregte Dame am Ende der Leitung meldete „den Opa als vermisst“. Der habe sich – wie alljährlich – am Freitagmorgen von Neunkirchen an der Saar auf den Weg zum Schottenring gemacht, aber seitdem nicht mehr gemeldet, und das Handy sei ausgeschaltet! Der MSC ließ ihn ausrufen, aber niemand meldete sich. Die Polizei wurde eingeschaltet, hielt nach verloren gegangenen älteren Herren und Motorrollern mit Neunkirchener Kennzeichen Ausschau, aber vergebens. Ein zweites Ausrufen hörte „Opa“ wohl und meldete sich im Engler-Haus, dem MSC-Clubheim. Er zeigte sich ob der Sorge seiner Tochter erstaunt, rief sie aber zurück. Dann muss sich wohl ungefähr folgender Dialog abgespielt haben: Warum er sich nicht gemeldet habe? „Es ist wohl gestern etwas spät geworden.“ Wann er denn nun endlich käme? „Na, wenn’s letzte Rennen fertig ist.“

Wo die alle herkommen!

Schottens Bürgermeisterin Susanne Schaab-Madeisky ist wohl spätestens seit der Mitfahrt bei Rallye-Crack Gianni di Noto bei der Vogelsberg-Rallye echter Motorsportfan. Dem Stadtoberhaupt fiel der wachsende Anteil an Frauen und Kindern unter den Zuschauern auf. Und die Vielzahl an auswärtigen Autokennzeichen. „Da gibt es immer mehr, die ich nicht kenne und hinterher nachgucke.“

Schirm des Schirmherrn wurde nicht gebraucht

Der MSC Rund um Schotten hat als renommierter ADAC-Ortsclub bekanntermaßen einen direkten Draht zu den „Gelben Engeln“. Die wiederum nutzten ihre Hotline zu Petrus, der Schotten und den Motorradfahrern optimales Wetter bescherte. ADAC-Chef Dr. Erhard Oehm brauchte seinen mitgebrachten (gelben) Regenschirm nicht aufspannen, auf den Volker Hoff (Hess. Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten) als offizieller Schirmherr ohnehin verzichtet hatte.

Toller Vorschlag für 2008

Eine großartige Idee hat Ferry Brouwer, Leiter des Yamaha Classic Racing Teams, der eine Vielzahl von Weltmeistern und Spitzenfahrer von Einst nach Schotten mitgebracht hat. Sein Vorschlag: Eine von der Polizei eskortierte Runde der historischen Rennmaschinen über den alten Schottenring, den Landstraßen nördlich Schottens! 2008 wird der aktuelle Schottenring Classic Grand Prix zum 20. Mal ausgetragen. Denn: „Ohne den alten Kurs gäbe es doch nicht die neue Tradition. Schotten verdankt dem alten Kurs vieles, gebt ihm ein bisschen zurück.“ Übrigens: 2008 hieße 70 Jahre Autorennen auf dem Schottenring (erstes Rennen 1925). 55-jähriges Jubiläum des Deutschland-Grand-Prix für Motorräder. 40 Jahre Bergrennen zwischen Rudingshain und Ludwigsbrunnen.

Schotten bleibt „the best“!

Brouwer war in diesem Jahr bereits mit seinem Team auf den Jubiläumsveranstaltungen auf der Isle of Man (100 Jahre) und Sachsenring (80 Jahre), in Spa und in Oschersleben, aber nun habe die Aussage aus dem Vorjahr „Schotten is simply the best!“ noch mehr Gültigkeit! „Stellen Sie sich vor, Sie feiern einen runden Geburtstag und all ihre Freunde und Verwandten aus Vergangenheit und Gegenwart sind da. Und keiner hält eine Rede auf Sie?!“ „MotoGP ist rational, dies hier ist emotional“, analysierte der ehemalige Mechaniker und Tuner des Yamaha-Werksteams.

„Die fahren eine eigene Meisterschaft“

Dass die Herren und die Dame Weltmeister und Grand-Prix-Sieger nicht das Motorrad fahren verlernt haben, war jedem Zuschauer offensichtlich. Die Zweitaktmeute stürzte sich mit zornigem Kreischen die Geraden hinunter und die Zwischengasstöße beim Runterschalten erinnerten einen an eine beißende Klapperschlange. Die Gastfahrer in den Demonstrationsläufen von Ferry Brouwer und Schneider/Mulstege hatten denselben Eindruck. Peter Frohnmeyer, einer der besten Deutschen in der 125-ccm-Klasse der frühen 1970er bewegte sowohl seine 125er-Maico als auch die Werks-Weltmeister-Yamaha von Kent Andersson in den Sonderläufen. „Ich glaube beim (Dieter) Braun, (Marcel) Ankone und beim (Chas) Mortimer geht es um die interne Meisterschaft“, lachte Frohnmeyer. „Von wegen, die machen Dir Platz…“

Geheimnisse gelüftet

Der Holländer Jos Schurgers war 1973 Vizeweltmeister in der 125-ccm-Klasse – auf und auf einer Bridgestone. Jawohl, Bridgestone der Reifenhersteller und Formel-1-Monopolist war in Japan auch als Hersteller von Motorrädern etabliert! Im Jahr darauf stand Schurgers ohne Motorrad da und bald darauf baute Bridgestone überhaupt keine Motorräder mehr. Schurgers: „Ein gewisser japanischer Motorradhersteller hat sich bei Bridgestone gemeldet und gesagt: Wenn ihr weiter Rennen fahrt, seid ihr nicht mehr Reifenausrüster für unsere Straßenmotorräder…“

Charles „Chas“ Mortimer hat immer noch die „lauteste Lache im Fahrerlager“, wie er in einem Motorsportjahrbuch charakterisiert wurde. Und wer sich mit anderen Engländern wie Rod Gould unterhielt, der bemerkte auch Unterschiede in der Aussprache. Motorradrennen fahren in den Fifties und Sixties war in England „strictly working class“. Mortimer hingegen ging auf eine Elite-Privatschule, hatte aber einen motorsportverrückten Vater: „Mike Hailwood hatte tatsächlich am Anfang Probleme akzeptiert zu werden. Mir hat er geraten, Chas, just be yourself!“ Das Lachen hat sicher geholfen.

„Anstrengender als Hockenheim und Nürburgring“

Rico Pahlig aus der sauerländischen Rennfahrerstadt Plettenberg (Michael Bartels und Motorrad-Tuner Horst Seel) turnte erstmals in Schotten im Seitenwagen von Dieter Wandelt (Schalksmühle). Wer glaubt, der Schottener Stadtkurs könne kein hohes fahrerisches Niveau haben, weil er aus einer Umgehungsstraße und einer Straße in einem Gewerbegebiet gemischt sei, wird eines besseren belehrt: „In der Seestraßen-Schikane muss man sich jedes Mal sehr konzentrieren. Wenn ich mich da irgendwie falsch raushänge, hat Dieter ein Problem. Und wenn er etwas anders macht, dann bekomme ich vielleicht ein Problem. Wir sind uns gegenseitig ausgeliefert“, lacht der Sauerländer.

Die sich anschließende nicht besonders gerade Gegengerade „ist ein einziges Waschbrett“. Prinzipiell findet er den Schottener Kurs „anstrengender“ als die übrigen Rennstrecken der Deutschen Historischen Motorrad-Meisterschaft wie Hockenheim, Nürburgring oder Oschersleben, weil in Schotten „alle Kurven wesentlich spitzer sind“.

Der Engländer John Blanchard fährt seit 1995 den Schottenring Classic Grand Prix und natürlich auch in seiner Heimat historische Motorradrennen. Mit seinen mutigen Schräglagen zählt er zu den Publikumslieblingen. Der „King of Club Circuits“ der 1960er-Jahre fährt lieber in Deutschland und besonders in Schotten als in der Heimat: „Hier gibt es viel mehr Kameradschaft.“

Gäste von down under obenauf

Die weiteste Anreise hatten wohl Roy und Shirley Liersch aus Australien. Natürlich sind sie nicht direkt von ihrer 1.200 Hektar (!) großen Farm zwischen Melbourne und Adelaide zum Schottenring gekommen. Sie besuchen ihren Sohn Geoffrey, der für ein Jahr in die Zentrale von Bosch nach Stuttgart abgeordnet ist. Den Schottenring-Vorschlag machte indes Winfried Möll aus Laubach, der vor zehn Jahren Geoffreys Arbeitskollege bei Bosch Australien gewesen ist. Die komplette Familie war sofort begeistert. Mit reichlich PS sind sowohl Eltern wie auch Sohn wohl vertraut: Geoffrey entwickelte Anzeigeinstrumente für BMW Motorsport – und die Saatmaschine hat 450 Pferdestärken. Die sind auch nötig bei 22 Tonnen Gewicht, 17 Metern Breite (!) und einem Tankinhalt von 1.360 Litern… „Well, in Australia everything is a bit bigger“, schmunzelte Shirley Liersch. Die Lierschs empfehlen für den nächsten Australienurlaub übrigens Philipp Island, die Insel der Pinguine und der Motorradrennstrecke.

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