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Vor 100 Jahren: Landkreis Fulda plante Bau und Betrieb von kreiseigenen Eisenbahnen

Fulda. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war auch für die Verantwortlichen der Kreisverwaltung in Fulda die Zeit gereift, verstärkt verkehrsstrategische Überlegungen anzustellen. Der dadurch um 1903 in Gang gekommene Denkprozess diente dem Ziel, ländliche Räume an der Peripherie des Landkreises mit Hilfe des modernen Verkehrsmittels Eisenbahn verkehrstechnisch und zugleich ökonomisch sinnvoll an die Fuldaer Zentrallage anzubinden. Daraus entwickelte sich die Absicht, kreiseigene Kleinbahnlinien zu errichten und diese dann in eigener Regie zu betreiben.

In einem ersten Schritt zur Umsetzung dieses Entschlusses legte Landrat Kurt Gustav Steffens (1895-1904) dem Kreistag ein Arbeitspapier vor, das die Überschrift trug: „Aufschluß des Kreises Fulda durch nebenbahnähnliche Kleinbahnen“. In dem Papier wurde angeregt, zwei Landschaftsbereiche innerhalb der Kreisgrenzen durch den Bau von je einer Kleinbahnstrecke verkehrsmäßig zu erschließen. Der Kreistag votierte mehrheitlich dafür, einen östlichen Kreisteil, und damit das Gebiet der Vorderrhön, und einen westlichen Bezirk, den Vorderen Vogelsberg, in das Programm aufzunehmen. Die damit angestrebte Zweckbestimmung:

  • Gewährleistung einer zukunftsträchtigen binnenräumlichen Mobilität
  • Steigerung der Wirtschaftskraft in den beiden Landschaftsteilen durch Verbesserung der Verkehrs-Infrastruktur
  • Anbindung revierferner kreisangehöriger Ortschaften an die bereits existierenden Staatshaupt- und Nebenbahnen

Eine solche Verknüpfung des Hinterlandes mit dem verkehrsmäßig erschlossenen Raum schien geboten. Immerhin durchzogen damals einige Schienenträger das Land. So war 1866 der Streckenabschnitt Bebra-Hersfeld-Fulda in Betrieb genommen worden. 1868 erfolgte die Indienststellung des Abschnitts Fulda-Neuhof-Hanau über Flieden und Elm. Die Oberhessische Eisenbahn befuhr ab 1871 die Linie Gießen-Alsfeld-Lauterbach-Großenlüder-Fulda. Daneben verkehrten Züge auf folgenden Nebenbahnen: Bronnzell-Gersfeld (seit 1888), Götzenhof-Bieberstein (1889), wobei die Weiterführung bis Hilders (1890) und von dort nach Tann (1891) ermöglicht wurde. Dazu kam noch die Verbindung Salzschlirf-Schlitz (1898).

Viele Pläne

Mit einer Unzahl an Vorschlägen zum Streckenverlauf der beiden zum Bau vorgesehenen Kleinbahn-Linien, der sogenannten Vorderrhönbahn (im Ostteil des Kreises) und der sogenannten Vogelsbergbahn (im westlichen Kreisbereich), hatten sich seinerzeit die Mitglieder de Kreisausschusses, der Kleinbahn-Kommission und des Kreistages zu befassen. So lagen diesen landrätlichen Gremien allein im Jahr 1907 28 verschiedene Trassierungsempfehlungen zur Beratung vor. Drei in Fachkreisen hoch angesehene „Special“-Planungsinstitute waren noch bis in die Anfang der zwanziger Jahre damit beschäftigt, der Fuldaer Kreisverwaltung in Sachen Bahnbau zuzuarbeiten. Zu jeder einzelnen, seitens der Kreisorgane als bauwürdig eingestuften Streckenvariante hatten diese externen Fach-Ingenieure ausführlichen Vorarbeiten, also Trassenuntersuchung, Verkehrsanalyse und Wirtschaftlichkeitsprüfung, durchzuführen.

Die Entscheidung darüber, ob, wann und wie die In Rede stehenden Kleinbahnen tatsächlich zur Bauausführung gelangen sollten, oblag einzig dem Kreistag. Damit wurde durchgängig den Abgeordneten ein Höchstmaß an Leistungsbereitschaft und Entscheidungsfähigkeit abverlangt. Insbesondere dann, wenn es darum ging, aus der Flut der sich anbietenden Streckenführungsmöglichkeiten die bestgeeignete Lösung herauszufiltrieren.

Im Fall der Vorderrhönbahn blieb die Anzahl der Linien durchaus noch überschaubar. Als alleinige Ausgangsstation war der Bahnhof Fulda unumstritten. Auch die Menge der ins Auge gefassten Endpunkte hielt sich in engen Grenzen. Vornehmlich zwei potenzielle Rhönorte standen im Fokus der Entscheidungsträger: Poppenhausen und Dietershausen. So sollte die Linie Fulda-Poppenhausen über Pilgerzell, Böckels, Dipperz und Friesenhausen geleitet werden. Die zweite Wahlmöglichkeit, die Strecke von Fulda nach Dietershausen, wurde auf eine Länge von 16,2 Kilometer ausgelegt. Sieben Bahnhöfe und Haltepunkte sollten angefahren werden. Die Anlagekosten waren auf 1,13 Millionen Mark veranschlagt. Bei einem errechneten Betriebsüberschuss von 43.276 Mark pro Jahr nahmen sich die ökonomischen Voraussetzungen zufriedenstellend aus.

Anders stellte sich die Sachlage im Zusammenhang mir dem Bau der Bahn durch den Vorderen Vogelsberg dar. Sowohl die Zahl der Streckenführungen als auch die Höhe der Investitionskosten waren erheblich größer. Unabhängig davon, welche Linienfestlegung getroffen worden wäre, die Anlagekosten hätten deutlich über denen des Pendants in der Rhön gelegen. Die Verzinsung des Anlagekapitals wies sich in allen Fällen vergleichsweise gering aus. Neben Fulda als Abgangsbahnhof der Vogelsbergahn wurde im Laufe der Jahre Großenlüder mehr und mehr als mögliche Ausgangsstation favorisiert. Auch die große Zahl der in den Planungen auftauchenden möglichen Endstationen mit dadurch immer wieder veränderten Routenführungen erschwerte die Arbeit des Kreistags. Giesel, Hosenfeld, Weidenau und Neuhof, das waren die Gemeinden, in denen jeweils eine Bahnlinie hätte enden sollen.

Aus der Vielzahl der diskutierten Streckenvarianten sei eine herausgegriffen, die ab 1909 als besonders bauwürdig angesehen wurde: Die Kleinbahnlinie von Großenlüder nach Hauswurz bzw. Weidenau. 21,33 Kilometer lang war die geplante Strecke, die ein Verkehrsgebiet von 580 Quadratkilometer einschloss. 2,13 Millionen Mark waren für den Bau vorgesehen, also 100.000 Mark pro Kilometer. Zwölf Bahnhöfe sollten an der Strecke entstehen: Großenlüder-Ost, Großenlüder-West, Uffhausen, Kleinlüder, Hainzell/Blankenau, Gersrod (Haltepunkt), Schletzenhausen, Hosenfeld, Poppenrod (Haltepunkt), Pfaffenrod, Brandlos, Hauswurz. Ein weiterer Bahnhof war für Weidenau geplant. Die Option, die Bahn bis Neuhof zu verlängern und diese in den dortigen Staatsbahnhof einmünden zu lassen, war offen gelassen worden.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam die Bauidee des Kreises zum größten Teil zum Erliegen. Das bescheidene Aufflackern nach 1918 ließ die Inflation der frühen Zwanzigerjahre wieder ersticken. Schließlich brachten die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen nach 1929 das endgültige Aus. So blieb es den Bahnen durch die Vorderrhön und durch den Vorderen Vogelsberg jenes Schicksal erspart, das außer den Staatsbahnen und mit Ausnahme der Verbindung Fulda-Gersfeld allen übrigen zur Berichtszeit im Fuldischen existierenden Eisenbahnen widerfuhr: die Auflassung.

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