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Kurswechsel im Gesundheitsministerium für die Versorgung Sterbender – Erfolg für Petition der Deutschen PalliativStiftung

Fulda. Ist ärztliches Engagement bald nicht mehr strafbar? In die Debatte, dass Ärzte nachts und am Wochenende keine Schmerzmittel zur Überbrückung zuhause bei sterbenden Patienten lassen dürfen, kommt plötzlich Bewegung. Das Bundesgesundheitsministerium hat das Problem erkannt und strebt eine Lösung an. Thomas Sitte, Vorstandsvorsitzender der Deutschen PalliativStiftung (DPS), der die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes §13 mit der DPS initiiert hat, betont: „Es ist eine schnelle Änderung einer absurden Rechtslage in Sicht und die Palliativmediziner hoffen nun auf Rechtssicherheit für ihre Arbeit.“ Nach einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende 2010 hatte der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof a.D. Klaus Kutzer der in Fulda ansässigen DPS vorgeschlagen, eine Petition an den Deutschen Bundestag zu richten.

Die Petition, deren Mitzeichnungsfrist am 11. März endete, war notwendig geworden, weil es unmöglich schien, die Rechtslage zu ändern. Denn palliativmedizinische Experten machen sich strafbar, wenn sie einem Sterbenden in dessen Zuhause schwerste Schmerzen oder Atemnot lindern möchten und ihm im Notfall dafür einige Tabletten aushändigen, bis eine Apotheke die Medikamente liefern kann. Das kann an Wochenenden oder an Feiertagen viele Stunden oder im schlimmsten Fall sogar ein paar Tage dauern, die für den Patienten unnötiges Leid bedeuten. „Der Arzt wird gegenwärtig nach Rechtslage mit einem Dealer gleichgesetzt. Bei einem sterbenden Menschen handelt es sich jedoch um einen Notfall, der ein solches Vorgehen rechtfertigt“, so Sitte, der diese rechtliche Absurdität selbst erlebt hat.

Schmerzmittel-Abgabe im Notfall strafbar

Denn gegen den Vorstandsvorsitzenden der DPS kam es ungewollt zu einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren. Sitte hatte zur eigenen Sicherheit bei den Behörden nachgefragt, wo die Grenzen konkret bei der Schmerzmittelabgabe für einen Arzt sind. Die Auskunft war verheerend. „Dass selbst die Abgabe im eindeutigen Notfall strafbar ist, hatte ich nicht erwartet.“ Nach dem Anruf befanden sich jedoch nicht nur der Palliativmediziner, sondern auch die Staatsanwaltschaft in einer Zwangslage. „Denn die geltenden Gesetze sind eindeutig. Der Staatsanwalt musste ermitteln, selbst wenn allen die absurde Rechtslage bewusst war“, betont Sitte und fügt hinzu: „Wer richtig handelt, wird straffällig. Wer immer wieder richtig handelt und vor Gericht kommt, muss ins Gefängnis.“ Um die öffentliche Diskussion über diese Gesetzesproblematik in Gang zu setzen, stellte Dr. Eckhard Eichner, Palliativmediziner aus Augsburg und Vorstandsvize der DPS, Mitte Januar dieses Jahres die Petition.

„Und sie war ein voller Erfolg. Viele waren – wohl wegen der Rechtsunsicherheit und der möglichen Strafen – zunächst zurückhaltend mit öffentlicher Unterstützung. Aber das hat sich dank der Presseberichte schnell geändert.“ In der Zwischenzeit gibt es eine breite Front von Befürwortern und Unterstützern quer durch alle Parteien, Verbände und gesellschaftliche Schichten. Unter anderem spricht sich die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof a.D., Prof. Dr. Ruth Rissing-van Saan, für eine Gesetzesänderung aus. Der BGH hat 2010 noch unter dem Vorsitz von Rissing-van Saan, die als die höchstrichterliche Expertin in Fragen eines würdevollen Umgangs mit tödlichen Krankheiten gilt, ein wegweisendes Urteil erlassen.

Dieses stellt klar, dass Ärzte nach dem Patientenwillen handeln dürfen und müssen. Die Juristin sagt: „Es besteht nicht nur für jeden unter schweren Schmerzen leidenden Patienten ein rechtlich verbürgter Anspruch auf eine möglichst effektive Behandlung seiner Leiden durch einen sachkundigen Arzt. Es ist eine humanitäre Verpflichtung unserer Gesellschaft, dem behandelnden Arzt eine indizierte Behandlung rechtlich zu ermöglichen, ohne ihn der Gefahr auszusetzen, wie ein Drogendealer behandelt zu werden.“ Auch MdB Dr. Helge Braun (CDU), Anästhesist aus Gießen, begrüßt den Kurs des Ministeriums: „Die Verbesserung der Schmerztherapie für chronisch Kranke und für Palliativpatienten ist für uns ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen. Keinem, der Schmerzlinderung benötigt, darf diese aus rein organisatorischen Gründen vorenthalten bleiben, auch nicht vorübergehend.“

Dr. Thomas Spies, hessischer SPD-Landtagsabgeordneter und Notfallmediziner aus Marburg, hält die geltende Regelung ebenfalls für „groben Unfug. Wenn ein Arzt Sterbenden Betäubungsmittel überlässt, macht er sich strafbar. Wenn der gleiche Arzt diesen Sterbenden seinen Schmerzen überlässt, macht er sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar – und ganz ehrlich, das Zweite ist für mich das Schlimmere. Deswegen wollen wir, dass die Rechtslage schnellstmöglich geändert wird!“ Thomas Sitte freut sich über die zunehmende Resonanz in der Öffentlichkeit, die die Stiftung mit ihrer Petition über die Gesetzeslücke informiert hat: „Ich hatte nicht mit einer so breiten Unterstützung unserer Forderungen gerechnet.“ Änderung noch vor der Sommerpause? Bei einem Treffen Anfang März im BMG in Berlin habe sich laut Sitte gezeigt, dass dort inzwischen gut bekannt sei, was bei Sterbenden zu Hause passiere und zur angemessenen Versorgung notwendig wird.

„Das war in den vergangenen Jahren einfach nicht klar. Eigentlich bestand noch vor wenigen Wochen kein Handlungsbedarf für das BMG“, sagt Thomas Sitte. Teilgenommen an diesem Treffen hatten Vertreter der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Krankenkassen, Apothekerverbände sowie der Hospiz- und Palliativverbände. „Was wir jetzt dringend brauchen, sind noch mehr Berichte aus der Praxis: Wo bestehen Probleme in der ambulanten Palliativversorgung, was machen Praktiker, um die Klippen der Gesetze zu umschiffen?“ Der DPS-Vorstandsvorsitzende ergänzt: „Die Berichte werden anonymisiert gesammelt. Wenn wir an einem Strang ziehen und Glück haben, ist das Gesetz vor der nächsten Sommerpause rechtskräftig!“

INFO

Im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) §13 ist festgelegt, dass nur Apotheker Schmerzmittel nach Verordnung des Arztes abgeben dürfen. Dieses Dispensierrecht stellt die deutschen Palliativmediziner vor ein schwerwiegendes Dilemma: Entweder der Arzt verstößt in Notfällen außerhalb der Apothekenöffnungszeiten gegen das BtMG und macht sich strafbar oder er macht sich strafbar wegen Körperverletzung. Nach aktuellen Angaben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sind organisatorische Verbesserungen im Kontakt zwischen Palliativmedizinern und Apothekern, eine Anpassung der Apothekenbetriebsordnung hinsichtlich der zwingend vorzuhaltenden Medikamente sowie eine Änderung des BtMG §13 im Gespräch.

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