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„Verantwortung Deutschlands für die Rotbuche ist so groß wie die von Brasilien für die Amazonas-Urwälder“

Rhön. Mit dem Weltnaturerbe Buchenwälder befasste sich eine Tagung in Hilders, an der Experten aus der ganzen Bundesrepublik sowie Vertreter des Forstes, der Kommunen und anderer Institutionen aus der gesamten Rhön teilnahmen. Hauptreferent war der bekannte Forstwissenschaftler und Forstdirektor a. D., Dr. Georg Sperber aus Ebrach. Rotbuchenwälder kommen nur in Europa vor. Das Zentrum der Verbreitung ist Deutschland. Große Vorkommen gibt es außerdem auf dem Balkan, hier vor allem in Bulgarien, sowie in Dänemark, Polen, Frankreich und Spanien. „In der Rhön hätten wir heute 80 Prozent natürliche Buchenwälder, bezogen auf die Gesamtfläche, wenn es den Menschen nicht gegeben hätte“, sagt Forstwissenschaftler Ewald Sauer von der hessischen Verwaltungsstelle des Biosphärenreservates Rhön. Tatsächlich liegt diese Zahl bei 18 bis 20 Prozent. Während des Mittelalters gab es eine sehr große Rodungsphase. „Außerdem wurden Flächen mit nicht Standort typischen Pflanzen wie der Fichte aufgeforstet“, erklärt Dr. Georg Sperber. Die Fichte werde aber in der Rhön aussterben, wenn der Klimawandel wie vorhergesagt eintritt. Trockene Sommer hätten eine Massenvermehrung der Käfer zur Folge. Diese würden die ohnehin schon gestressten Fichten dann okkupieren.

Die Buche, unterstreicht Sperber, wird die Probleme mit dem Klimawandel wie die Fichte nicht haben. „Ihre Verbreitung reicht von tief bis hoch in der Höhenzone und von trockenen bis halbfeuchten Standorten. Die Buche ist landschaftstypisch, und unser Ziel muss es sein, stabile Naturwälder zu bekommen – und auch Wälder, die der natürlichen Entwicklung überlassen bleiben.“ Die meisten der bewirtschafteten Buchenwälder in Deutschland sind von einem Mangel an Strukturen gekennzeichnet. Das bedeutet, dass sich in ihnen kaum Totholz befindet. Nur wenige Buchenwälder werden älter als 160 Jahre, und größere zusammenhängende Flächen sind selten.

Echte Buchen-Urwälder sind längst verschwunden – und mit ihnen auch viele Urwaldbewohner. Lediglich im östlichen Mitteleuropa sind noch Buchen-Urwälder verblieben. Erst seit einiger Zeit können sich in Deutschland wieder Buchenwälder in Nationalparken und Kernzonen von Biosphärenreservaten natürlich entwickeln. Daher, so hieß es während der Tagung, sei es durchaus an der Zeit, einen gesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft des Buchenwaldes anzustoßen und über Sinn und Wert von Kernzonen ins Gespräch zu kommen. Drei Prozent Kernzonenanteil muss das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön nach den national geltenden Kriterien aufbringen. Momentan sind es Länder übergreifend betrachtet nur rund 1,4 Prozent. Experten empfehlen hingegen sogar rund zehn Prozent Prozessschutzfläche.

Buchen können nicht auf Freiflächen gedeihen, weil sie als Jungpflanzen eine lockere Beschirmung brauchen. „Deshalb müssen Buchen im ausgelichteten Fichtenwald jetzt nachgepflanzt werden, damit unsere nachfolgenden Generationen wieder stabile Buchenwälder haben“, sagt Dr. Georg Sperber. Als erwachsener Baum ist die Buche nämlich sehr dominant. In der Rhön hat sie keinen Konkurrenten, außer das Gelände ist besonders felsig oder nass. Buchenwälder haben noch einen anderen Vorteil: sie reproduzieren sich selbst.
Buche ist heute weltweit zu einem gefragten Ersatz für Tropenholz geworden.

Dementsprechend haben sich die Weltmarktpreise entwickelt. Gleichzeitig gelten Buchenwälder als eines der am meisten bedrohten Ökosysteme der Welt. Der Druck auf sie nimmt aber parallel zum Ansteigen der Holzpreise eher zu als ab. „Wenn man sich die Zahlen ansieht, in welchem Maße die Rotbuche in Deutschland abgenommen hat, dann ist die Verantwortung Deutschlands für diesen Baum ebenso groß wie beispielsweise die Verantwortung Brasiliens zum Erhalt der Amazonas-Urwälder“, unterstreicht Ewald Sauer. Martin Görner von der Arbeitsgruppe Artenschutz in Thüringen hebt hervor, dass ein naturnaher Buchenwald beide Aspekte berücksichtige – nämlich die wirtschaftliche Nutzung und den Erhalt der Waldbiodiversität, also den Artenschutz.

„Es ist daher ein hoher ethischer Anspruch mit dem Erhalt und dem Aufbau von Buchenwäldern verbunden.“ Gleichzeitig sagt Görner, dass es nicht darum geht, wirtschaftliche Nutzung einzustellen. „Aber wir müssen in unseren Wäldern Totholz stehen lassen, damit sich Lebensgemeinschaften entwickeln können, und wir dürfen nicht noch den letzten Festmeter Brennholz herausholen.“

Die Forstwissenschaftler und Artenschützer rufen daher dazu auf, den Anteil der Buchen im Wald zu erhalten und darüber hinaus den Mut zu haben, über Buchen den Dauerwald von morgen auf jetzt noch Fichten bestandenen Flächen zu organisieren. In der Douglasie sehen sie keinen Ersatz für die Fichte. Zwar seien Douglasien nach 60 bis 70 Jahren schlagreif, und die Buche erst nach 120 bis 140 Jahren. „Aber gerade im Winter ist die Buche ein äußerst stabiler Baum, der keine Probleme mit Schneedruck hat. Die Buche ist hier am besten angepasst, deshalb sollten wir uns mit einheimischen Baumarten ausstatten“, meint Sperber. Ein Vorzeigebeispiel für naturgemäßen Waldbau ist heute der Buchenwald bei Ebrach im nördlichen Steigerwald, den er 26 Jahre lang betreute.

Den Anweisungen, die Buchen zu fällen und stattdessen schnellwüchsige Kiefern und Fichten zu pflanzen, hatte er sich widersetzt. Heute gibt es dort über 300 Jahre alte Buchen. Im Wald ist genügend Totholz vorhanden, so dass sich ein natürlicher Lebensprozess eingestellt hat. In Deutschland gibt es über 1 400 Käferarten, die nur vom Holz leben, erklärt Sperber. Von den etwa 100 Waldvogelarten gründen mindestens zwei Drittel ihre Existenz auf sterbenden oder toten Bäumen. Seltene Arten wie der Feuersalamander oder der Mittelspecht sind auf verrottendes Totholz angewiesen. Kernzonen in Biosphärenreservaten, unterstreicht Dr. Ullrich Schaffrath vom Institut für Pflanzenphysiologie in Aachen, tragen in besonderer Weise zum Erhalt der Holzkäfer bei, die aufgrund der intensiven Bewirtschaftung der Wälder massiv bedroht sind.

Buchen beginnen erst ab einem Alter von über 140 – 180 Jahren im Sinne waldökologischer Prozesse in „alt“ zu werden. Starke Durchmesser jüngerer Bestände sind hierfür kein Ersatz.

Erst ab Vorräten von über 40 Festmetern pro Hektar treten seltene Arten regelmäßig auf. Starkes Totholz mit einem Brusthöhendurchmesser von über 30 cm erhöht die Zahl der „Naturnähezeiger“ in Buchenbeständen. Mulmhöhlen sind in der Buche selten, sind aber Garant für einen langlebigen, komplexen Totholzlebensraum mit einer artenreichen Holzkäfer-Fauna.

Die Diskussion zur Zukunft der Buchenwälder während der Tagung zeigte, dass es durchaus geteilte Ansichten gibt, was die künftige Bewirtschaftung betrifft. In erster Linie diente die Tagung dem Erfahrungsaustausch. Deshalb hatten die Veranstalter auch Dr. Jürgen Willig von Hessenforst eingeladen, der unter dem Thema „Wo kommen wir her – wo wollen wir hin?“ die Kernzonen und Naturwaldreservate in der Rhön beleuchtete.

Das Land Hessen hat den höchsten Buchenanteil in Deutschland. Die Buche ist daher mit 250.000 ha die Baumart Nr. 1 in Hessen. Im Biosphärenreservat Rhön sind 924 ha als Kernzonen ausgewiesen, die die natürliche Buchenwaldbestockung repräsentieren. Die Kernzone Dreienberg mit 270 ha ist ein „Juwel“ unter den Buchenwald-Kernzonen. In den ältesten Beständen wurden dort mehr als 20 Bäume / ha mit einem Stammdurchmesser von über 60 cm gezählt.

Noch nicht repräsentiert sind die bodensauren Buchen-Wälder, die bei der Neuausweisung von Kernzonen zu berücksichtigen sind. In bewirtschafteten Wäldern in Hessen ist die naturgemäße Waldwirtschaft verbindlich vorgeschrieben. „Profiteur dieser Wirtschaft ist die Buche“, so Dr. Willig.

Der Umgang mit der Artenvielfalt im deutschen Wald und insbesondere in den Rotbuchenwäldern dürfte auch auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt eine Rolle spielen, die vom 19. bis 31. Mai 2008 in Bonn stattfindet. „Von Deutschland als Gastgeberland dürften substantielle und beispielgebende Beiträge zu Schutz und nachhaltiger Nutzung von Waldökosystemen im eigenen Land erwartet werden“, vermutet Ewald Sauer.

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