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Urkunden aus Marburger Staatsarchiv vom 8. bis 19. Jahrhundert waren Tagungsthema

Fulda/Marburg (bpf). „Geschichte hilft, deutend zurückzuschauen und Schritte in die Zukunft zu wagen“, hob der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen in einem Grußwort im Rahmen der wissenschaftlichen Tagung „Fulda und seine Urkunden“ hervor, die jüngst in der Theologischen Fakultät Fulda zu Gast war. Der katholische Oberhirte hieß die über 60 Historikerinnen und Historiker aus der gesamten Bundesrepublik und Österreich in der Bonifatiusstadt willkommen.

Er machte in seiner Funktion als Großkanzler der Fakultät deutlich, dass die in enger Kooperation von Bistum und Theologischer Fakultät, Marburger Staatsarchiv, Historischer Kommission für Hessen sowie Stadt und Stadtarchiv Fulda veranstaltete Tagung „wichtige Perspektiven, die sich aus dem digital verfügbaren Korpus der Fuldaer Urkunden von der Mitte des 8. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ergeben“, zur Sprache bringe.

Den im Internet abrufbaren Urkundenbestand des Archivs des Reichsstiftes Fulda wertete Dr. Andreas Hedwig, Leiter des Staatsarchivs Marburg, aufgrund seines hohen Alters, seiner dichten Überlieferung und seines wichtigen Gehalts als besonders relevant für die historische Forschung, in struktur- und sozialgeschichtlicher ebenso wie in kulturgeschichtlicher Hinsicht. Grußworte sprachen zu Beginn der Tagung Ministerialdirigentin Irene Bauerfeind-Rossmann vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Fuldas Oberbürgermeister Gerhard Möller sowie als Hausherr Rektor Prof. Dr. Christoph Müller.

Festvortrag über die Fuldaer Fürstäbte im Alten Reich
Über 100 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer fand der öffentliche Abendvortrag im historischen Auditorium maximum der Fakultät, in dem auch die Fachtagung abgehalten wurde. Prof. Dr. Franz Brendle (Tübingen) legte unterhaltsam die Rolle des „Fürstabts von Fulda im politischen und zeremoniellen System des Alten Reichs“ dar. Der Fürstabt (seit 1752 Fürstbischof) von Fulda habe in der Barockzeit zur Klientel der habsburgischen Kaiser in Wien gehört und sich in seinem Ehrenamt als Erzkanzler der römisch-deutschen Kaiserin nicht durch die geistlichen Kurfürsten von Köln und Trier verdrängen lassen.

Es gelang dem Stiftskapitel oftmals, die Abtswahl zu vollziehen, ehe der Gesandte des Kaisers ankommen und Einfluss auf sie nehmen konnte – mit großem Zeremoniell wurde dieser Wahlkommissar jedenfalls immer in Fulda empfangen. „Die von Bischof Algermissen hervorgehobene Fuldaer Gastfreundschaft war also auch schon in der frühen Neuzeit vorhanden“, betonte Prof. Brendle. „Öffentliche Herrschaftsrituale waren wichtig für die politische Ordnung in vormoderner Zeit“, erläuterte der Referent. Eine wirkliche politische Tätigkeit konnte der Fuldaer Fürstabt eigentlich nie aus seinem Ehrenamt als Kanzler der Kaiserin ableiten. Es sei bei dem Privileg einer Mitwirkung an der Krönung der Kaiserin geblieben, stellte Brendle heraus.

Neue Erkenntnismöglichkeiten durch Digitalisierung
Einschlägig ausgewiesene Forscherinnen und Forscher zeigten im Laufe der Tagung auf, welche Perspektiven sich aus dem nun digital verfügbaren Korpus der Fuldaer Urkunden für die Erforschung der Geschichte von Kloster, Bistum und Stadt Fulda vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit ableiten ließen. Zugleich wurde ein Ausblick auf die Frage unternommen, welche Potentiale sich durch solche Erschließungs- und Datenbankprojekte an der Schnittstelle von Archiv, Forschung und interessierter Öffentlichkeit böten. So beleuchtete Prof. Dr. Mark Mersiowsky (Innsbruck) die Geschichte der Reproduktion historischer Urkunden im 19. und 20. Jahrhundert und stellte heraus, dass sich durch den heutigen Einsatz digitaler Mittel neue Erkenntnismöglichkeiten ergäben.

Dr. Francesco Roberg (Marburg) ging auf die Vor- und Nachteile einer datenbankgestützten Urkundenforschung ein und forderte, dass Veränderungen an Online-Beständen immer transparent sein müssten. Digitale Verfügbarkeit sei nicht grundsätzlich besser als Texteditionen, die ein klares Ergebnis darstellten. Auf die Überlieferungsform von Urkunden in Buchform (sogenanntes Libell) ging Prof. Dr. Thomas Vogtherr (Osnabrück), während Prof. Dr. Thomas Frenz (Passau) ausgewählte Papsturkunden für Kloster und Bistum Fulda aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, unter anderem Ernennungsbullen der Päpste, vorstellte.

Warum in einer Papsturkunde oft nur „wenig Papst“ stehe, zeigte Prof. Dr. Andreas Meyer (Marburg) auf: In den meisten Fällen trafen die Päpste nur grundsätzliche Entscheidungen selbst (so z. B. die Bestätigung eines neu gewählten Abts von Fulda) und ließen ansonsten „geschäftsmäßig“ die Beauftragten ihrer Kanzlei tätig werden. Weitere interessante Aspekte beleuchteten Prof. Dr. Andreas Stieldorf (Bamberg), die sich mit den mittelalterlichen fuldischen Konvents- und Abtssiegeln befasste und dabei die besondere Bedeutung des hl. Bonifatius als Stiftspatrons unterstrich, und Prof. Dr. Irmgard Fees (München), die herausarbeitete, dass die besondere Rolle Fuldas bei der Herausbildung von Notarsurkunden (Notariatsinstrumente) in Hessen durch die Auswertung digitalisierter Quellen deutlich hervortrete. Wie sich der frühmoderne Flächenstaat ausbildete, verdeutlichte Prof. Dr. Holger Gräf (Marburg) anhand von sogenannten Grenzrezessen zwischen benachbarten Herrschaftsgebieten, deren Wert darin liege, dass Grenzverläufe gezeigt und der geistesgeschichtliche Wandel bezüglich einer Grenze greifbar würden.

Grundlagen und Ausprägung der Reichsabtei Fulda
Die wirtschaftlichen Grundlagen der Grundherrschaft des Klosters Fulda, als deren Eigentümer im Mittelalter der hl. Bonifatius selbst angesehen wurde, stellte Prof. Dr. Enno Bünz (Leipzig) anhand von überlieferten Urbaren (Verwaltungsschriftgut) dar. Privatdozentin Dr. Bettina Braun (Mainz) kam auf die geistlichen Funktionen des Fuldaer Abtes zu sprechen, der stets um die Durchsetzung der päpstlich verbrieften Freistellung (Exemtion) von der Herrschaft der Bischöfe von Würzburg und Mainz bemüht war und daher selbst mehr und mehr bischöfliche Funktionen übernahm. Dass kaiserliche und päpstliche Privilegien eine bedeutsame Herrschaftsgrundlage darstellten und deshalb gut aufbewahrt wurden, stellte Prof. Dr. Johannes Merz (Würzburg) im Vergleich der geistlichen Fürstentümer Würzburg und Fulda heraus.

Privatdozent Dr. Alexander Jendorff (Gießen) zeigte, dass der Ritteradel des Hochstifts Fulda ein „Meister der Mehrdeutigkeit“ gewesen sei, der ein Höchstmaß an Handlungsfreiheit nach allen Seiten hin zu behalten bemüht war. An eine Epoche von „Ritteräbten“ im 16. Jahrhundert habe sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts die Entwicklung zum Hofstaat der Fürstäbte hin angeschlossen. Prof. Dr. Christine Reinle (Gießen) sprach über Konflikte und Fehden zwischen dem Fürstabt von Fulda und dem Niederadel im späten Mittelalter, in denen die buchischen Ritter Rückhalt gegen den Abt bei benachbarten Fürsten suchten. Der Fürstabt selbst habe aktiv keine Fehden geführt, sondern rein reaktiv gehandelt. Über Gerichtswesen und Gerichtspraxis des Klosters Fulda und die Rolle der beiden höchsten Gerichte (Reichskammergericht in Wetzlar und Reichshofgericht in Wien) referierte Prof. Dr. Ludolf Pelizaeus (Mainz) und zeigte, dass es oftmals um Vergleiche in Steuer- und Besitzfragen ging.

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