Hausaufgaben werden mit links gemacht – Schreibvorbereitungskurs der vhs für linkshändige Kinder
Flieden. „Feertiig!“ – nacheinander verkünden neun Kinderkehlen, dass die gestellte Aufgabe erfolgreich erledigt ist – mit links. Das sagt an dieser Stelle allerdings nichts darüber aus, dass die Herausforderung vielleicht gar keine echte war. Vielmehr ist es ganz wörtlich zu verstehen: Die Jungen und Mädchen sind Teilnehmer im „Schreibvorbereitungskurs für linkshändige Kinder“, ein Angebot der Volkshochschule des Landkreises Fulda.
An vier Nachmittagen üben sich die Fünf- und Sechsjährigen, die in diesem oder im nächsten Jahr in die Schule kommen, darin, entspannt mit der linken Hand einen Stift oder eine Schere zu führen. Andrea Zentgraf leitet sie dabei an. Die Diplom-Sozialpädagogin ist zertifizierte Linkshänderberaterin nach der Methode Dr. Sattler. Seit vielen Jahren bietet sie diese Kurse in Zusammenarbeit mit der vhs in Kindergärten und in der Familienbildungsstätte Fulda an.
Sie selbst wuchs noch in einer Zeit auf, in der man als Linkshänder verpönt war – was sich in Redewendungen wie „das mach ich mit links“, also ohne Anstrengung, auch heute noch wiederfindet. Kinder mit einer dominanten linken Hand wurden damals „umgeschult“, also gedrängt, sich den Gebrauch der rechten Hand vor allem beim Malen und Schreiben anzugewöhnen. „Heute weiß man, dass die Händigkeit mit der Nutzung der Hirnhälften zusammenhängt. Versucht man den Handgebrauch umzudrehen, kann das etwa zu Konzentrationsschwierigkeiten und schulischen Problemen führen“, erklärt die Sozialpädagogin.
Sie selbst schreibt seit ihrer Kindheit mit der rechten Hand – erledigt aber alle anderen Tätigkeiten mit der für sie richtigen, nämlich der linken Hand. „Meine Erfahrungen sind die Motivation, warum ich Kindern heute einen guten Start ermöglichen möchte.“
Und dieser Start ist für die jungen Kursteilnehmer, die sich im Sitzkreis versammelt haben, ganz spielerisch. Die Stunde beginnt mit Lockerungsübungen für Hände und Finger. Kleine Gummibänder werden um die Finger geschnürt und ohne Hilfe der anderen Hand wieder abgestreift.
Besonderes Augenmerk legt Zentgraf auf die richtige Stifthaltung: „Das scheint heute sowohl im Kindergarten als auch in der Schule nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen.“ Sie sieht, erzählt sie, immer wieder Kinder, die den Stift mit der gesamten Faust umschließen und kraftvoll aufs Papier drücken – eine Haltung, die das in der Schule geforderte feinmotorische Schreiben merklich erschwert. Das betreffe allerdings Rechts- wie Linkshänder.
Die Kinder im vhs-Kurs lernen ihre Finger mit dem „Max-und-Moritz“-Griff um den Stift zu sortieren. Wie in Wilhelm Buschs Geschichte sitzen die beiden Helden rechts und links auf dem Dach und Witwe Bolte ist im Keller – und übertragen: Daumen und Zeigefinger „sitzen“ oben, jeder auf seiner Seite des Stifts, und der Mittelfinger nimmt seine Position an der Unterseite ein. „An die Geschichte erinnern sich die Kinder auch nach den vier Kursstunden noch sehr gut“, weiß Zentgraf aus ihrer langjährigen Erfahrung.
Am Tisch sitzend testen die Kinder beim Nachzeichnen von Linien verschiedene Gummigriffhilfen, die die Stifthaltung zusätzlich erleichtern. „Den Eltern rate ich am Ende des Kurses, welche dieser Hilfen für ihr Kind die jeweils richtige wäre.“ Bei einem separaten Kurstermin erhalten sie Tipps und Informationen rund um die Linkshändigkeit ihres Nachwuchses.
Immer rät sie zum Kauf einer Linkshänder-Schreibunterlage. Auf ihr ist aufgezeichnet, wie das Kind am besten zum Blatt sitzt und wie dieses vor ihm ausgerichtet sein sollte: „Linkshänder haben eine schiebende Schrift. Stifte sollten nicht zu hart sein und das Blatt sollte immer leicht schräg liegen“, erklärt die Expertin. So können auch Linkshänder unverkrampft und flüssig schreiben ohne mit der Hand wieder über die Schrift zu wischen.
Neben diesen technischen Hilfsmitteln brauchen die Kinder nach dem Kurs nur noch eines: die Unterstützung ihrer Eltern, die mit ihnen konsequent üben. Dann ist ihr Nachwuchs gut auf die Schule vorbereitet und macht das alles nach wenigen Monaten mit rechts – wie die Redewendung aus Linkshändersicht lauten müsste. (Gitte Diener)