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„Do you speak … Medizin?“

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Verena Tobert (r.) und Jessamine Kohlmann studieren zur Zeit in Southampton

SOUTHAMPTON/FULDA. Derzeit befinden sich vier Medizinstudentinnen aus der Region, denen der Landkreis Fulda ein Stipendium an der „Kassel School of Medicine“ gewährt, auf „Weihnachtsurlaub“. Das Studium beinhaltet auch einen Aufenthalt im südenglischen Southampton. Bevor im Januar die ersten Prüfungen anstehen, berichtet Verena Tolbert von ihren bisherigen Erfahrungen in England. Mein erster Eindruck ist schlicht und ergreifend: Toastbrot. Man bekommt es hier in jedem Geschäft, in allen möglichen Formen, günstig und preiswert, frisch oder abgepackt, mit Körnern oder klassisch weiß und oftmals schon fertig als Sandwich zubereitet in rund 150 verschiedenen Geschmacksrichtungen. Als eingefleischter Rhöner schleppt man sich von Supermarkt zu Supermarkt – in der Hoffnung. vielleicht doch noch irgendwo etwas „Handfestes“ zu finden. Wenn schon kein Graubrot, dann vielleicht eine Packung Vollkorn- oder Roggenmischbrot.

Neben der Esskultur, die als Student nun nicht unbedingt im Vordergrund steht, spielen Sprache und das soziale Netzwerk eine wichtige Rolle im Alltag. Jessamine Kohlmann und ich sind uns einig, dass man sich unglaublich schnell an die englische Sprache gewöhnt und sie als eigene Ausdrucksform übernimmt. Nach knapp einem Semester können wir festhalten, dass es zwar eine Herausforderung ist und bleibt, alle Inhalte in einer anderen Sprache zu verstehen, lernen und letztendlich in den Prüfungen anzuwenden.

Das Einzige, wovon wir gerne ein bisschen mehr hätten, ist Zeit. Nur weil wir eine gewisse Summe an Studiengebühren bezahlen, bedeutet das noch lange nicht, dass wir den Doktortitel (bzw. in unserem Fall den „Bachelor of Medical Sciences“) geschenkt bekommen. Die Kassel School of Medicine bietet gemeinsam mit der Universität in Southampton ein hervorragendes Mentoring-Programm an, und es gibt unzählige Anlaufstellen, an die man sich im Bedarfsfall wenden kann. Dabei sind die Ansprüche an uns Studenten nicht gerade gering. Neben einigen Vorlesungen verbringen wir viel Zeit in Kleingruppen im Anatomielabor, das uns auch über die Unterrichtstunden hinaus zur Verfügung steht. Zusätzlich finden regelmäßig „Tutorials“ in Bereichen wie Physiologie, Pharmakologie oder Pathologie statt, in denen wir Beispielfälle besprechen.

Wie genau so ein Studentenalltag aussieht, ist schwierig zu beschreiben. Für Jessasmine und mich stehen zunächst die Vorlesungen und das Durcharbeiten der Lernmaterialien im Vordergrund. So selbstverständlich dies klingt, ist das als Student aber nicht immer: Die Universität bietet ein unglaublich breites Angebot an Freizeitaktivitäten. Vom „Star Wars Club“ bis hin zum Windsurfen scheint für jeden Geschmack etwas dabei zu sein. Hinzu kommen die unzähligen Studentenpartys und Einladungen, die man nicht permanent ablehnen kann. Am Ende siegt entweder die Vernunft oder eisernes Durchhaltevermögen. Wichtig ist, dass neben dem Studium ein wenig Zeit für andere Gedanken und Abwechslung bleibt. Insbesondere unsere Tutoren achten sehr darauf, dass wir trotz des straffen Lernprogramms genug Raum für kleine Atempausen haben.

Regine Henkel, die sich bereits im zweiten Studienjahr befindet, schwärmt von ihrem Tag auf der Entbindungsstation als „persönlicher Höhepunkt“ des ersten Jahres. Jeder Student bekommt in Southampton die Möglichkeit, eine Geburt und zeitweise die Entwicklung dieses Kindes zu begleiten. Auch besuchen wir alle zwei Wochen eine Hausarztpraxis und dürfen unsere Kommunikationsfähigkeiten mit „echten“ Patienten unter Beweis stellen. Selbstverständlich stellen wir noch keine Diagnosen und verschreiben auch keine Medikamente. Es geht viel eher darum zu erlernen, worauf es in einer sogenannten Anamnese ankommt, wie man Gespräche führt und gemeinsam mit dem Patienten anstatt für ihn Entscheidungen trifft.

Auch wenn Zeit hier ein recht knappes Gut ist und sich im Laufe des Studiums ganz sicher nicht vermehren wird – jeder von uns hat seinen individuellen Weg gefunden, mit Druck oder Stress klarzukommen. Mögliche Bedenken wie beispielsweise die Sprachbarriere oder das Einleben in eine neue Kultur werden im Keim erstickt, sobald man angekommen ist und sich offen gegenüber neuen Einflüssen zeigt. Der wohl bedeutendste Aspekt scheint die Balance zwischen Lernen und persönlichem Wohlbefinden zu sein. Dieses Gleichgewicht muss und kann nicht immer gewährleistet sein; jeder wird tagtäglich „auf Herz und Nieren“ geprüft.

Dennoch, und das macht diesen Studiengang aus, lernt man unheimlich viel in den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Das kann sich darin zeigen, dass man Unterschiede zwischen den Gesundheitssystemen oder im Recht feststellt, die Sprache auf ganz natürliche Weise festigt oder mehr Selbstvertrauen gewinnt, da man einfach auf sich allein gestellt ist. Abgesehen von den medizinischen Inhalten wird man daher täglich gefordert, neue Wege zu gehen, Teamfähigkeit zu zeigen, Geduld zu haben und nicht aufzugeben. Und das kann beispielsweise auch das Vollkornbrot sein, das man nach langem Suchen am hinteren Ende des Supermarkts entdeckt.

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