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Ein Woche auf Achse mit „Susi“ – Über den Alltag eines Berufskraftfahrers

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Offenbach. Da steht ein LKW am helllichten Vormittag auf einem Parkplatz, der Fahrer liegt entspannt zurückgelehnt auf seinem Fahrersitz und döst.  Hier denke ich, ‚Ja dem geht’s gut, warum fährt der nicht?? Warum macht der Fahrer um 9:30 Uhr PAUSE?“ Dieser Frage im Internet nachgegangen, lande ich unweigerlich bei der EG-Verordnung Nr. 561/2006 gültig seit 11.4.2007, die die Lenk- und Ruhezeiten der Berufskraftfahrer regelt. Schön, also alle LKW-Fahrer in der EU unterliegen der gleichen Verordnung. Was steht da drin?

Innerhalb von 4,5 Stunden Fahrzeit sind 45 Minuten Pause einzuplanen, die wiederum können aufgeteilt werden in einmal 15 Minuten und einmal 30 Minuten, soweit verständlich. Die tägliche maximale Lenkzeit beträgt 9 Stunden, wobei zweimal je Woche 10 Stunden zulässig sind, also maximal 56 Stunden in der 6 – Tage – Woche und innerhalb von zwei Wochen sind höchsten zusammen 90 Stunden zulässig. Bis hierhin kann ich folgen! Das waren die Lenkzeiten.

Jetzt kommen in das Fahrer-Zeitmanagement noch die Ruhezeiten hinzu. Diese beträgt täglich mindestens 11 Stunden. Ja, das geht doch! Die wöchentliche Ruhe, Wochenende z.B., beträgt 45 Stunden einschließlich einer Tagesruhezeit, hier ist eine Verkürzung auf 24 Stunden (mit einem zwingenden Ausgleich innerhalb von drei Wochen erfolgen muss) möglich. UND die wöchentliche Ruhezeit, also die 45 (24) Stunden, sind zwingend nach den sechs 24 Stunden-Zeiträumen einzulegen (also nach der 6-Tage-Woche). AHA!

Wie sieht dieses Stundengewirr im Alltag aus?

Dass sich das einfach nur in der Praxis herausfinden lässt, stelle ich schnell fest. Ich muss also mit einem Berufskraftfahrer eine Arbeitswoche bestreiten. Gesagt – getan!

Das Ende der einer Fahrer – Woche, ist der Anfang der neuen Woche! Sie endet in der Regel mit der Reinigung des LKW’s, der eine Woche lang Arbeitsplatz, Küche, Eß-, Wasch-, Wohn- und Schlafraum war. Da wird die Tasche, die Bettwäsche, die Lebensmittel aus Kühl- und Staufächern ausgeräumt, der Innenraum komplett gereinigt, der LKW und der Auflieger von den Spuren der langen Woche gesäubert und zum Schluss alle Arbeitsunterlagen (Lieferscheine, Wochenstundennachweise, Fahrermappe) vom Fahrzeug ins Büro gebracht. Wochenende! Nein, noch lange nicht! Direkt vom Betriebshof geht es, mit dem PKW zum Einkaufen für die kommende Arbeitswoche. ‚ALLES  was Dir montags fehlt, fehlt Dir auch freitags/samstags!’, war die Vorankündigung meines Fahrers, beim Betreten des Supermarktes. Nie hatte ich mir Gedanken gemacht, was ich innerhalb einer Woche essen oder trinken möchte! Warum auch? ICH konnte ja bisher jederzeit die Dinge des Alltags einfach dann einkaufen, wenn ich sie benötigte!

Alle Einkäufe werden puzzlesteingenau vorgepackt und es geht, mit einem Zwischenhalt am Geldautomat, nach Hause. Zu Hause angekommen ist auch hier alles genau strukturiert. Kaum ist die Tür der Wohnung zu, geht die Tasche auf und direkt wird eine Ladung Wäsche in der Waschmaschine gestartet, denn bis Sonntagabend muss alles gewaschen wieder in der Tasche sein. Von der Wochenendruhe sind mittlerweile schon 5,5 Stunden verbraucht, als mein Fahrer in Küche sein LKW-Geschirr in die Spülmaschine packt und nebenbei  was leckeres Warmes für sich kocht. Während das Essen vor sich hin kocht, wird die Post der Woche gesichtet, die Familie telefonisch  kontaktiert und Termine für’s Wochenende vereinbart.

Natürlich ist es heutzutage kein Problem, während der wöchentlichen Abwesenheit, telefonischen Kontakt zu Freunden und Familien zu halten, doch Vis á Vis ist eben ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Nach dem Essen werden dann auch direkt Familie und/oder Freunde besucht. Der Abend endet, wieder zu Hause, mit dem Aufhängen der Wäsche und mit erschöpftem Schlaf.  Der Samstag beginnt, nach erholsamem Ausschlafen (16 Stunden Wochenenderuhe sind verbraucht),  mit der nächsten Waschladung und Freizeitgestaltung. Bis zum frühen Sonntagabend sind 38 Stunden der Wochenendruhe vorbei und es geht die Arbeitsvorbereitung der neuen Woche los. Kaffee kochen, Brote schmieren, Koffer packen, wobei ich restlos überfordert und dankbar für die fachkundige Unterstützung bei der Inhaltswahl meiner Tasche bin. Bis zum nächtlichen Start in die neue Woche gibt es noch eine kurze Schlafpause. Um 2 Uhr starten wir.

Alles was für die Woche benötigt wird wird zunächst in den PKW verladen; Taschen, Bettzeug, Essen, Getränke, Trink-Wasser und mein Equipment mit Kamera, Stativ und Laptop. Es hat geschneit und gefroren und 2:45 Uhr  ist wirklich nicht meine aktive Zeit. Ich habe leichte Schwierigkeiten, mit dem Eifer und Arbeitstempo des Fahrers mitzuhalten. Auf dem Betriebshof, den wir nach dem Öffnen verschiedener Tore erreichen, holt sich mein Fahrer zunächst seine Arbeitsunterlagen (Fahrermappe und einen extra Schutzhelm/-weste für mich) aus dem Büro und wir beginnen die Zugmaschine, die mit dem Auflieger in der riesigen Speditions – Halle wegen des Eisschutzes (wer nicht schon mal die Eisplatten von LKW-Planen fliegen sehen?!) steht, mit unseren Sachen zu beladen. Alles hat seinen exakten Platz! Das 8 l Kühlfach wird formschlüssig befüllt, Bettzeug und Taschen kommen auf die Betten, sonstiges Equipment in die Staufächer. Letzte Handlung vor der Abfahrt ist IMMER die Abfahrts-Kontrolle (WOLKE= Wasser, Öl, Luft, Kraftstoff, Elektrik). Alles perfekt! Nach ganz schnellem Gespräch mit Kollegen, die Gleiches tun, geht es um Punkt 4 Uhr los. Mir war während all diesem geschäftigem Tun gänzlich entgangen, dass mein Fahrer nebenbei, seine Fahrerkarte in den digitalen Tachometer eingeschoben, das Navigationsgeräte und das Car-Cube aktiviert hatte.

  • Die digitale Fahrerkarte (ehemals Tachoscheibe) notiert alles, was der Fahrer innerhalb der letzten 28 Tage (Fahr-, Ruhe-, Arbeits- + Wartezeit) getan hat. Diese wird bei LKW-Kontrollen durch das BAG (Bundesamt für Güterverkehr) von den Beamten ausgelesen und gefundene Vergehen entsprechend geahndet.
  • Das Navi kennt eigentlich fast jeder. Für LKW’s gibt es extra Ausführungen, die die speziellen Daten wie Höhe, Länge und Gewicht des LKW’s in die Streckenführung mit einbeziehen, da, wie ich später feststellen musste, der kürzeste PKW-Weg nicht unbedingt die geeignete, befahrbare  Strecke für den LKW ist, wenn unterwegs z.B. Durchfahrhöhen von 3,20 m Brücken (wir brauchen 4,00 m) oder Tonnagenbeschränkungen den Weg sperren.
  • Das Car-Cube, ähnlich einem kleinen Tablet-Pc,  ermöglicht es u.a. dem Disponenten der Spedition per Direktmail alle auftragsrelevanten  +/oder sonstige Daten direkt mit dem Fahrer auszutauschen (+ umgekehrt) und dem Fahrer, seine Lenk- und Ruhezeiten konstant einzupflegen und zu überwachen. Eine Navigation wäre hierüber auch möglich, ist jedoch, nach Aussage des Fahrers unpraktisch.
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Endlich fährt die ‚Susi’, wie mein Fahrer seine Zugmaschine liebevoll nennt, los. Schon bei der ersten Ortsdurchfahrt bekomme ich Erfurcht. Wie breit ist Susi?? „Sie ist 2,43 m ohne Spiegel!“, so mein Fahrer. Hierzu finden ich im Internet den Hinweis: „Im Rahmen der europäischen Harmonisierung des Straßenverkehrs beträgt die maximal zulässige Breite eines Fahrzeuges 2,55 m….“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Straßenquerschnitt) und ich erkenne, meine Erfurcht ist berechtigt!! Im weiteren Lauf der Woche werde ich feststellen, dass EU-Standardmaße a.A. für die Baustellenführung in Innenstädten knapp bemessen sind und der Fahrer auf die Rücksicht der anderen Verkehrsteilnehmer angewiesen ist. Wo mich die Panik, ob der Enge packt, ist mein Fahrer total entspannt. Es würde mich doch interessieren, wie ein EU-Abgeordneter, der an dieser Verordnung mitgearbeitet hat, aussieht, wenn er einen  LKW durch so eine ‚harmonisierte’ Standard-Strecke begleiten würde.

Drei Stunden unterwegs, steuern wir den ersten Parkplatz an. Pause zur Erledigung eines urologischen Kleinproblems auf der stählernen Toilette (bei -9 Grad nicht Jedermanns Vergnügen:). Nunmehr verstehe ich auch die notwendige Ration Küchenrolle, die Fernfahrer stets im Staufach mit sich führen, da diese  hier als Isolationsauflageschicht dient!  15 Minuten sind so vorbei. Und weiter Richtung erstem Ziel. Kaum 90 Minuten später steht die längere30 minütige Zwangs-Pause (siehe EG Nr. 561/2006. 15 + 30 = 45 Minuten) an, hier nun die Wahl: Duschen, Essen oder Papierkram. Duschen!, ist meine Entscheidung. 30 Minuten für einen persönlichen Waschgang, klingt entspannt, aber ich muss warten, da meine Duscheinheit noch nicht gereinigt wurde. Letztendlich bleiben mir 11 Minuten bis das Fahrer-Zeitmanagement und somit mein Fahrer zur Abfahrt drängt. So schnell war ich noch nie!! 3 € waren für die saubere Dusche, die überraschender Weise nichts von dem angedachten Charme einer Jugendherberge oder eines Sportheims  hatte sind in Ordnung,. Sehr modern, schick, großzügig und sauber, zumindest auf dem Lohfelder Rüssel bei Kassel!

Stets weiter durch die Kasseler Berge Richtung 1. Abladstelle. Um den LKW in den Bergen besser hoch zu bekommen, schaltet der Fahrer den Tempomat aus. Den Schwung vom Gefälle möchte er gerne in den nächsten Aufstieg mitnehmen, doch vor ihm fährt ein LKW mit schwächerer Leistung, so dass ein Überholvorgang notwendig wäre, um nicht auf die 27 km/h des Vordermannes runterbremsen zu müssen. Leider fehlt vielen  PKW-Fahrern in dieser Situation die Ein- und Rücksicht, den LKW am Berg überholen zu lassen. Häufig endet diese Lage mit beiderseitigem Unverständnis! „Muß DER jetzt grad raus? Aber nicht vor MICH!“ „Ich bin doch gleich vorbei und dann kannst Du wieder weiter!“ Für den PKW  wäre es nur mal kurz den Fuß vom Gas zu nehmen und für beide Seiten wäre die Situation entspannt zu fahren.

Stets weiter Richtung 1. Abladestelle, die wir pünktlichst erreichen.. Vor dem Verlassen des Führerhauses werden wiedermal alle notwendigen Systeme (FahrerKarte, Carcube) bedient (Eingabe von Fahrzeit auf Arbeitszeit im digitalen Tachografen, Erreichen der 1. Abladestelle im Carcube als Info für den Disponenten, Eintrag des KM-Standes und des Ziels im handschriftlichen Wochenarbeitsplan) und dann ist mein Fahrer auch in Arbeitsschutzkleidung (Helm, Warnweste, Sicherheitsschuhe, Arbeitshandschuhe)  verschwunden, um Ladelisten und  – positionen zu holen und zu klären. Wartenummer 11, Einwiegen, Einfahren, Aufplanen (Plane öffnen), lösen der Ladungssicherung,  Entladen, Verräumen der Ladungssicherungen, Zuplanen,  Auswiegen und Erledigung des abschließenden Papierverkehrs. Stets verbunden mit den Einstellungen des Fahrers im Tachografen und Car cube über seine aktuelle Tätigkeit.

Weiter geht es zur ersten Ladestelle. Während mein Fahrer sich anmeldet und die Papiere holt, rüste ich mich mit Helm, Sicherheitsschuhen und Weste, für den Gang über das Betriebsgelände des Kunden zum Kaffeeautomat und zur Toilette, die’s hier nur für Herren gibtJ

Beeindruckt bin ich von riesigen Magnetkränen die, unter Fahreranleitung, im tetris-stil und formschlüssig, den Auflieger mit Tonnen von  Edelstahlrohren beladen. Anti-Rutschmatten-und Spanngurt-gesichert fahren wir in den Hallen eine Ladestelle nach der Anderen ab (stets wieder mit Auf- und Abplanen), um die Rohre aufzunehmen. 2,5 Stunden später, nach Erledigung weiterer Formalitäten, fahren wir das nächste Ziel in Duisburg an. Souverain findet Susi unter des Fahrers Leitung, durch die engen, baustellenbelasteten Strassen den Weg zum Ziel. Wiederum das gleiche Prozedere wie vor, Anmeldung, Papierkram und Ladeplatzzuweisung. In der Ladehalle haben die Mitarbeiter gerade Pause; Zeit die Zugmaschine und den Auflieger zu positionieren, den Auflieger für die Beladung zu öffnen und dann selbst noch eine Pause einzulegen. Natürlich werden hier wieder alle Systeme davon informiert. Nach der Restbeladung und Erledigung der Papiere,  bleiben noch exakt 8 Minuten um einen Standplatz für die Ruhezeit zu finden. Wer sich jetzt hier geographisch nicht auskennt, hat ein wirkliches Problem!, denn Fahr- oder Schichtzeitende ist ENDE jeglicher Tätigkeit! Das Gesetz lässt hier keinen Meter und keine Minute zu, jede Tätigkeit nach ENDE ist, bei einer BAG-Kontrolle, mit einem Bußgeld belegt.

Mein Fahrer kennt sich aus, hat zudem noch Glück und  direkt einen Parkplatz für die Nacht gefunden. Auf einem nahe gelegenen Autohof gehen wir etwas Essen und benutzen die sanitären Einrichtungen. Dann ist Nachtruhe. Ich darf im unteren Bett schlafen. Hierfür müssen alle Taschen, Jacken usw. vom Bett auf die Sitze umgelagert werden. Obwohl ich NUR den ganzen Tag auf dem Beifahrersitz war, bin ich richtig erschöpft und schlafe sofort ein. Morgen früh um 3 Uhr läutet der Wecker!

Eine Woche als Beifahrerin in einem LKW brachte mich zu der Erkenntnis, dass

  • LKW-Fahrer einen körperlichen und geistig anstrengenden Arbeitstag haben,
  • es ohne logisches Denkvermögen, Mathematik, Umsicht, räumliches Denken bei der Beladung,  Konzentration, fahrerisches Können und Organisation nicht möglich ist, diesen Fahrer-Alltag zu bewältigen,
  • der Zeitdruck durch die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten, das erhöhte Verkehrsaufkommen (Staus) und die bemühte Einhaltung von Be- und Entladeterminen immens ist,
  • es viel zu wenige Parkplätze für LKW’s gibt.

Ich werde den LKW’s jetzt mit noch mehr Rücksicht und Respekt begegnen, denn sicherlich wird in irgendeinem LKW auch eine Ware für mich befördert! Und der Fahrer auf dem Parkplatz…..der hat seine Ruhezeit eingehalten! (Andrea Prins)

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