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In kleinen Schritten ganz nach oben – Anja Kimpel lockt ihre Patienten beim therapeutischen Klettern aus der Reserve

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Fulda. Paul strahlt über das ganze Gesicht. Er ist oben angekommen, hat die Kletterwand bezwungen, obwohl Konzentration und Kondition heute nicht optimal waren. Der Zehnjährige ist richtig stolz auf sich und darf noch einen kurzen Moment sechs Meter über dem Boden schweben, durchatmen und Kraft für den Abstieg tanken. Anja Kimpel, die Paul gut gesichert hat, freut sich mit ihrem jungen Patienten. „Gut gemacht!“, lobt sie Paul und fordert ihn auf, sich in den Gurt zu setzen und noch ein wenig zu verschnaufen.

Fotos: Max Colin Heydenreich

DSC_4358Die Physiotherapeutin ist zufrieden mit ihrem Schützling. „Heute standen das Greifen und die Aufrichtung des Oberkörpers im Vordergrund. Ganz nach oben zu kommen, war gar nicht das erklärte Ziel“, sagt die 38-Jährige, „aber so ein Erfolgserlebnis bringt natürlich jede Menge Motivation.“ Pauls leuchtende Augen sind die Bestätigung.

Der Aufforderungscharakter macht diese Therapieform, die Anfang der 1990er Jahre in Deutschland populär wurde, zu etwas Besonderem. „Kinder geben beim Klettern oft alles, sie wachsen regelrecht über sich hinaus. Bei klassischer Physiotherapie kommt es durchaus vor, dass die Übung abgebrochen wird, aber an der Kletterwand merken die Kinder gar nicht, wie viel sie eigentlich  tun“, weiß die 38-Jährige, die ihre Leidenschaft für das Sportklettern schon vor vielen Jahren entdeckt und eine spezielle Fortbildung im therapeutischen Klettern absolviert hat. In der Physiotherapie-Praxis Meissner-Helmkamp-Lindemann im Medicum geht sie regelmäßig mit ihren kleinen und großen Patienten an die Wand.

Eingesetzt wird das therapeutische Klettern überwiegend bei Patienten, die Haltungsschäden oder Bewegungseinschränkungen, Bänder- oder Gelenkverletzungen haben. Auch bei Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben oder an Multipler Sklerose erkrankt sind, wird das therapeutische Klettern genutzt, um die Wahrnehmung zu schulen und die Koordinationsfähigkeit zu verbessern. Darüber hinaus, können Kinder mit ADS oder ADHS von dieser Therapie, bei der Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden, profitieren.

DSC_4329„Kraft und Beweglichkeit, Kondition, Konzentration, Körperhaltung und Stabilität werden beim Klettern gefördert“, weiß Anja Kimpel. „Zudem können die Patienten beim Klettern, mehr Vertrauen in den eigenen Körper und in sich selbst entwickeln.“

Pauls Opa, der seinen Enkel ab und an zum Klettern begleitet, ist von dem ganzheitlichen Ansatz überzeugt. „Paul ist ein guter Schüler, benötigt für die sportliche Bewegung aber meistens etwas Ansporn. Deshalb ist es großartig zu sehen, wie er beim Klettern aus der Reserve gelockt wird und die positiven Erfahrungen auch im Alltag wirken.“ Dass Paul vor vier Jahren zeitweise im Rollstuhl saß und nicht mehr laufen konnte, glaubt man gar nicht, wenn man ihn in der Wand sieht. Doch Zysten im Wirbelkanal, die viele Jahre unentdeckt blieben und drei Operationen bei einem Berliner Spezialisten erforderlich machten, führten zu Schäden an Nerven, Skelett und Muskulatur. Für den Zehnjährigen bedeutet das dauerhafte Therapie.

Wie gut, dass Anja Kimpel mit der Kletterwand ein As im Ärmel und deshalb bei Paul leichtes Spiel hat. Der freut sich nämlich immer auf das nächste Mal und ganz besonders auf seine Lieblingswand – an der schafft er es beinahe „spielend“ bis ganz nach oben.  (Dorit Heydenreich)

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