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“Gewaltfreiheit lässt sich lernen” – Stefan Zierau von pro familia ist Anlaufstelle für Täter häuslicher Gewalt

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Fulda. Der freundliche Handwerker aus dem Nachbarhaus und die Akademikerin, die auf dem Weg zur Arbeit stets grüßt: Sie könnten Klienten von Stefan Zierau sein. Der Diplom-Pädagoge und Psychotherapeut arbeitet in der pro familia-Beratungsstelle Fulda mit Menschen, die gegenüber ihren Partnern und Kindern gewalttätig werden. “Häusliche Gewalt kommt in allen Schichten vor”, stellt der Experte klar.

Im vergangenen Jahr gab es laut Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums Osthessen 488 Fälle häuslicher Gewalt, in denen die Polizei alarmiert wurde. 168 waren es im Landkreis Fulda. “Die Dunkelziffer ist wesentlich höher, nur ein kleiner Teil der Taten wird überhaupt erfasst”, erläutert Zierau. Häusliche Gewalt kann viele Facetten haben – eine Ohrfeige, Tritte, brutalste Schläge, Ausüben von Zwang, üble Beschimpfungen oder sexuelle Übergriffe.

In seiner Beratung seien die meisten Täter Männer, sagt Zierau. Aus der Arbeit der Hilfeeinrichtungen, die es für betroffene Frauen gibt, wisse man, dass sie häufig in die Beziehung zu gewalttätigen Partnern zurückkehrten. “Daraus hat man gelernt, dass der Gewaltkreislauf nur durchbrochen werden kann, wenn Täter nicht mehr schlagen.” Der “Runde Tisch gegen häusliche Gewalt”, in dem unter anderem Landkreis und Stadt Fulda vertreten sind, initiierte ab 2010 eine finanzielle Förderung der sogenannten Täterarbeit aus Mitteln des Jugendamtes. Inzwischen unterstützt auch das Hessische Justizministerium die Arbeit in der pro familia-Beratungsstelle.

Zirka 50 Täter haben den Weg in das Beratungszimmer von Stefan Zierau im vergangenen Jahr gefunden – sei es, weil sie selbst erkannt haben, dass sie ein Problem haben; sei es, weil ihnen etwa das Jugendamt ein Gespräch mit dem erfahrenen Berater nachdrücklich nahe gelegt hat. “Täter sind meist Menschen, die mit Konflikten nicht umgehen können”, gibt Zierau einen Einblick, “das heißt, sie üben Gewalt immer aus einer Unfähigkeit heraus aus. Das entschuldigt nichts, aber erklärt ihr Handeln.” Hier liegt zugleich auch eine Chance: Zieraus Klienten sollen nach und nach lernen, neue Handlungsmodelle zu entwickeln – “Gewaltfreiheit lässt sich lernen”, ist der Experte überzeugt. Bis zu diesem Ziel ist es meist ein langer Weg, den Berater und Klient miteinander zurücklegen.

Der Täter müsste zunächst begreifen, dass er der Täter und nicht das Opfer ist: “Sätze wie ‘Es wäre nie passiert, wenn meine Frau mich nicht so provoziert hätte’ sind ganz typisch”, erklärt Zierau. In einem Interview mit dem Berater zum Beispiel soll der Schlagende in die Rolle seines Opfers schlüpfen. Darauf aufbauend lernt er zu verstehen, welche Prozesse ablaufen, bis er zuschlägt: “Gewalt entsteht spiralförmig, sie schaukelt sich hoch, bis sie sich entlädt”, erklärt der Experte und fügt an: “Der Täter lernt Notausgänge zu finden, an denen er aus dieser Spirale aussteigen kann.” Zugleich spricht Zierau auch mit den von der Gewalt Betroffenen, lässt sich aus ihrer Sicht die Übergriffe schildern und informiert sie – nach einer Schweigepflichtsentbindung durch den Klienten – über seine Arbeit.

“Es ist wichtig, dass ein engmaschiges Netzwerk entsteht”, sagt Zierau. Der Experte setzt auf Prävention etwa durch Kooperation und Schulungen: “Polizei, Richter, Mitarbeiter des Jugendamtes, Ärzte und andere – alle sollten in der Lage sein, Gewalt zu identifizieren, und dem Täter im richtigen Moment Hilfe anbieten.” Zudem ermuntert er jeden bei Anzeichen von häuslicher Gewalt zur Zivilcourage und dazu, den Rat von Fachleuten einzuholen – auch wenn der nette Handwerker aus dem Nachbarhaus oder die Akademikerin, die auf dem Weg zur Arbeit stets grüßt, die Täter sind.

Kontakt

Stefan Zierau
pro familia-Beratungsstelle Fulda
36037 Fulda, Heinrichstr. 35
Telefon (0661)4804969-0
Fax (0661)4804969-20
E-Mail stefan.zierau@profamilia.de

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