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Ulstertalradweg ist ein Tipp für geschichtsinteressierte Radfahrer Gänsehaut auch ohne Fahrtwind

Wer im Herbst mit dem Fahrrad unterwegs ist, muss mit Gänsehaut rechnen. Am Ulstertalradweg unterdessen läuft es einem gleich hinter der hessischen Landesgrenze in Motzlar kalt den Rücken hinunter.

Dort befindet sich der erste von neun Rastplätzen, an denen über einen mit dem Smartphone eingescannten QR-Code eine Audio-Datei heruntergeladen werden kann. Zeitzeugin Brigitte Heller erinnert sich, wie 1973 SED-Parteifunktionäre mit Blick auf die beiden kleinen Kinder der Familie die Schleifung ihres Hofs im Sperrgebiet mit den Worten kommentierten: „Das sind nicht nur ihre Kinder, das sind auch unsere Kinder“. Dank solcher Zeitzeugenberichte erhält man entlang des Radwegs vor historischer Kulisse einen authentischen Einblick in die deutsch-deutsche Geschichte. Dies macht die knapp 30 Kilometer lange Strecke von Tann nach Vacha wie geschaffen für eine Fahrradtour zum 25-jährigen Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung.

500-Ulsterradweg 2Eigentlich beginnt der Ulstertalradweg am Heidelstein, doch wir starten in Tann. Jeden Freitag findet um 10.30 Uhr in der dortigen Grenzinformationsstelle ein kostenloser Vortrag statt, den Albert Zörgiebel, ehemaliger Zollbeamter und früherer Leiter der Tanner Tourist-Information, hält. Zusätzlich zur Dauerausstellung mit Fotos und historischen Exponaten ist in den Räumen zurzeit die Sonderausstellung „Weg zur Deutschen Einheit“ der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und des Auswärtigen Amts zu sehen (dienstags bis sonntags zwischen 10 und 17 Uhr).

Auf thüringischer Seite hat das Rhönforum (Verein für Regionalentwicklung und Tourismus) den Ulstertalradweg in diesem Sommer mit künstlerisch gestalteten Ruhebänken sowie den erwähnten Hörstationen zu einer Attraktion für moderne, geschichtsinteressierte Radfahrer ausgebaut. In Motzlar erfährt man nicht nur vom Schicksal der Familie Heller, sondern auch von dem der Familie Jacobi, die am 3. Oktober 1961 nach Leipzig zwangsausgesiedelt wurde. Diese Beispiele stehen für Hunderte weiterer geschleifter Höfe und Dörfer im DDR-Sperrgebiet.

500-Ulsterradweg 3Einen Halt gegen die üblichen Schikanen bot im Geisaer Amt der katholische Glaube. An der Hörstation in Schleid geht Pfarrer Arnold auf das Verhältnis von Kirche und Staat in der ehemaligen DDR ein. Kurz vor Geisa wartet die nächste der Hörerlebnis-Bänke, auf denen die Sonne, die Ulster, das Tal, Berge und ein Radfahrer dargestellt sind. Die Renaturierungsmaßnahmen der Ulster rücken bei Buttlar in den Fokus. Und Berthold Dücker erinnert sich in der Audio-Datei, wie er als 16-Jähriger bei Geismar die Flucht über das Minenfeld nach Westen wagte.

In Unterbreizbach florierte der Kalibergbau, wie an der dortigen Ruhebank mit Blick auf den weißen Berg zu erfahren ist. Einer der Kumpel verrät, dass unter Tage die Grenze anders als über Tage verlief und dass die Stasi trotz einer 150 Meter dicken Bergschicht zwischen ost- und westdeutschem Abbaugebiet weitere Sicherheitsmaßnahmen zur Verhinderung von Fluchtversuchen für nötig erachtete. Die hohe Zahl an Fluchtversuchen führte im grenznahen Wenigentaft 1952 zur Stilllegung des Bahnhofs und kurz darauf zur Schließung der Ziegelei. Damit versank der einstige Verkehrsknotenpunkt in Bedeutungslosigkeit.

Wer für den Rückweg nach Tann die einzige bestehende Busverbindung nehmen möchte, sollte zwischendurch nicht allzu lange auf den Sitzbänken ausruhen. Um 16.20 Uhr fährt wochentags von Vacha aus die Linie 117 nach Geisa, wo man um 17.35 Uhr in die Linie 124 nach Tann umsteigen kann.
www.rhoen.de/themenwelten/grenzgeschichte-der-rhoen/31055.Ulstertalradweg—Audio-Tour-Grenzerlebnis.html

Bilder: Außer einem Schild erinnert zwischen Tann-Günthers und Schleid-Motzlar nichts mehr an die einst dort verlaufende Grenze.
Als ehemaliger Zollbeamter kann Albert Zörgiebel (rechts) Besuchern der Grenzinformationsstelle in Tann die Geschichte der Grenze mit eigenen Erfahrungsberichten spannend nahebringen.
Die Sonne, die Ulster, das Tal und die Berge laden seit kurzem zwischen Motzlar und Unterbreizbach Radfahrer zum Rasten auf künstlerisch gestalteten Sitzbänken ein. In Verbindung mit neun Hörstationen mit historischen und Zeitzeugenberichten ermöglicht der Ulstertalradweg eine genussvolle Audio-Zeitreise in herrlicher Natur vor Originalkulisse.

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Umwelt & Tourismus