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Städteordnung war revolutionäre Entwicklung

081212-staedteordnung_16Fulda (mb). War der preußische Politiker und Adlige Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr von und zum Stein der geistige Vater der kommunalen Selbstverwaltung? Stand sein Reformgedanke am Beginn dessen, was heute das Besondere deutscher Städte und Gemeinden im internationalen Vergleich ausmacht: in deren Verwaltungspraxis auf die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu setzen statt auf eine zentrale Gewalt?  Dieser Fragenkomplex stand im Mittelpunkt einer Feier im Marmorsaal des Stadtschlosses, in der die Verantwortlichen der Stadt eines historischen Datums gedachten: der 1808, also vor 200 Jahren als Gesetz erlassenen Preussischen Städteordnung.  Fuldas Verwaltungschef Gerhard Möller hatte in Doppelfunktion, als OB und  Präsident des Hessischen Städtetages zur Gedenkveranstaltung eingeladen.

Foto: Stadt Fulda


Zeitalter geprägt

In Skizzen zeichnete Möller Entwicklungsstationen der kommunalen Selbstverwaltung nach. Wenn man sich vergegenwärtige, dass Freiherr vom Stein gerade zur Zeit der existentiellen Krise des preussischen Staates nur 14 Monate an der Spitze der Regierung gestanden habe, sei sein Werk mehr als bemerkenswert. Nicht zuletzt mit seinem Gesetz zur Neuordnung der städtischen Verwaltungen habe er ein Zeitalter geprägt hat und präge die Wirklichkeit noch immer. Wenn man sich vorstellt, es hätte diese Ordnung nicht gegeben, was wäre dann aus Bürgersinn, Gemeinschaftsgeist und motorischer Kraft geworden? Sogar in der Restaurationsphase, so Möller, sei die kommunale Selbstverwaltung als ein Grundpfeiler der staatlichen Ordnung wahrgenommen worden. Die Reichsverfassung von 1871 habe deshalb kaum Veränderungen erfordert, da das Jahr 1834  mit der Fortentwicklung der Kommunalwirtschaft unter dem Begriff der kommunalen Daseinsvorsorge einen weiteren Meilenstein dargestellt hatte. Auch die Weimarer Verfassung habe das Recht der kommunalen Selbstverwaltung weiterentwickelt. In der nationalsozialistischen Zeit habe der Erlass einer neuen Gemeindeordnung das Führerprinzip eingeführt, zugleich aber auch eine Rücklagen-, Kassen- und Rechnungsverordnung entwickelt.

Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz

In seiner weiteren Betrachtung spannte Hessen Städtetagspräsident den Bogen von der erstmaligen Beteiligung der Kommunen an der Einkommenssteuer bis zum Anliegen und Verdienst des früheren Fuldaer Oberbürgermeisters Alfred Dreggers am Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Die 70er Jahre seien von der Gebietsreform geprägt gewesen. „Aktuell haben wir wiederum neue Konfliktlagen: Die Förderalismusreform hat neue Klarheit über das Verhältnis Bund/ Länder geschaffen“, betonte Möller. Das deutsche Erfolgmodell nun europafest zu machen, sei keine leichte Aufgabe.

Tafeln für Sitzungszimmer

Den Anlass der Feier nutzte Möller, um eine Tafel mit der Kurzvita des Freiherrn und Auszügen aus seinen Denkschriften und der Ordnung für die Städte des preußischen Königreichs vorzustellen. Sie soll künftig ihren Platz im Magistratssitzungszimmer haben. „Wir wissen um unsere Wurzeln und vergegenwärtigen sie uns so“, betonte Fuldas Verwaltungschef.

Wurzeln

„Zukunft braucht Herkunft.“ Diesen Gedanken schickte Kulturamtsleiter Dr. Werner Kirchhoff einem Vortrag voraus, der dem historischen Zusammenhang galt, in den die Städteordnung des Jahres 1808 gestellt werden muss. Es gehöre zu den zählebigen Vorurteilen, Stein habe uns die kommunale Selbstverwaltung heutiger Prägung beschert. Richtiger sei die Einschätzung, dass die von ihm initiierten Reformen am Beginn der Entwicklung zu der kommunalen Selbstverwaltung von heute stehen.

Nassauer Denkschrift

Stein hatte nach 1780 in der preußischen Staatsverwaltung eine auffällig erfolgreiche Karriere gemacht. Vom Referendar stieg er innerhalb von nicht einmal zwei Jahrzehnten bis zum preußischen Minister auf.  Seine Erfolge in Westfalen hatten  den preußischen König veranlasst, den Reichsfreiherrn 1804 als Wirtschaftsminister zu berufen. Er erkannte damals sehr schnell die Desorganisation der den König beratenden Gremien.  1806 verfasste er deshalb eine Denkschrift über die fehlerhafte Organisation des Kabinetts. Stein hatte mit der Denkschrift jedoch keinen Erfolg. Königin Louise erkannte deren Sprengkraft und unterschlug sie. Später wurde sie in erweiterter Form dennoch überreicht, hatte aber noch weniger Erfolg.

Stein hatte dennoch die Reorganisation der Regierung im Blick. Schließlich sollte er  das Innen- und Außenressort übernehmen. 1807 erhielt er jedoch die Entlassung, weil Stein die Aufgabenübernahme verweigert hatte. Er räumte den Posten und zog sich auf seine Güter an der Lahn zurück. Seine dort verfasste „Nassauer Denkschrift“ machte Geschichte. Nur sechs Monate nach seiner Entlassung konnte er bereits mit der Wiedereinstellung aufgrund seiner perspektivischen Schrift rechnen. Stein hatte darin Napoleons erfolgreiche Neuordnungen die persönlichen Freiheitsrechte der französischen Revolution und die Rechtssicherheit durch den Code Napoleon berücksichtigt.

Steins Reformen

1807 folgte dann tatsächlich die Wiedereinstellung. Am 30. September meldete sich der Reichsfreiherr erneut zum Dienst. Steins Reformen fallen in die Zeit bis zum Jahresende 1808 und bewirkten die umfassende Reorganisation des Staates. Die Gewerbefreiheit und Städteordnung entstanden. Die Städteordnung vom November 1808 erweist die Notlage des Staates bereits dadurch, dass der Text als Beilage einer Zeitung veröffentlicht wurde. Es sicherte den Bürgern ein vom gesellschaftlichen Stand unabhängiges Bürgerrecht zu. Zugleich hatten die Bürger aber die städtischen Lasten verhältnismäßig zu tragen. Bürger war, wer sich dauerhaft in einer Stadt niederließ, ein Haus besaß oder einem Gewerbe nachging. Politisch handelnder Bürger sei demnach nur der „besitzende Bürger“ geworden, wie Kirchhoff erläutert.

Die Stadtverordnetenversammlung, die den Magistrat wählte, war grundsätzlich Vertretung der Bürger. Der Magistrat wurde laut Kirchhoff als „ausführende Behörde“ bezeichnet. Dem Staat sei nach der Neuordnung nur noch ein Aufsichtsrecht über die Städte zugekommen. Die Städteordnung wies ihnen weitgehende Autonomie, vor allem in der Ausgestaltung der Besteuerung zu. Sie bedeutete laut Kirchhoff eine „revolutionäre Entwicklung“, die die Heranbildung eines politisch verantwortlichen Bürgers – losgelöst von Untertanenmentalität notwendig machte. Die Erziehung des neuen Staatsbürgers habe eine staatsbürgerliche Bildung notwendig gemacht. Deshalb schloss sich auch eine Reform des Schulwesens an. Der Appell vom Wandel des Untertans zum Staatsbürger mache den Geist des Gesetzes und letztlich den bleibenden Wert der Steinschen Städteordnung aus.

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