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„Die Lage der Kurden zwischen allen Fronten“ lautete das Thema eines Vortrags des Bundesvorsitzenden der Kurdischen Gemeinde Deutschland e.V. (KGD)

Auf Einladung der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, Sektion Fulda, sprach Ali Ertan Toprak vor 65 interessierten Zuhörern einer öffentlichen Veranstaltung im Hotel „Jägerhaus“ in Fulda-Bronnzell über die Unabhängigkeit der Kurden und ihre aktuelle Situation in Kurdistan und Deutschland.


Schweigeminute für die Erdbebenopfer
Nach der Begrüßung durch Sektionsleiter Michael Trost, gedachten die Anwesenden in einer Schweigeminute der über 400 Opfer der schrecklichen Erdbebenkatastrophe in den südlichen Kurdengebieten im irakisch-iranischen Grenzgebiet und der um sie trauernden Angehörigen.
Den Kurdischen Peschmerga, in deutsch: „zum Tod bereit“, zollte Trost „hohen Respekt, Bewunderung und Dankbarkeit für ihren heldenhaften Kampf gegen die Terrormilizen des sog. IS“ und gab der Hoffnung Ausdruck, „ das überwältigende Ergebnis des Unabhängigkeits-Referendum solle nicht zu einer Zerreißprobe zwischen der Autonomen Region Kurdistan und der irakischen Zentralregierung in Bagdad werden“.

Toprak zu Kosovo und Völkerrecht
Ali Ertan Toprak erläuterte zunächst, 2008 habe sich das Kosovo für unabhängig erklärt, ganz ohne Volksabstimmung und natürlich gegen den erklärten Willen der serbischen Regierung in Belgrad. Zwei Jahre später, am 22. Juli 2010, hätte der Internationale Gerichtshof erklärt, dass dieses Vorgehen legitim gewesen sei. Einseitige Unabhängigkeitserklärungen seien durch das Völkerrecht gedeckt. Auch die territoriale Integrität Serbiens sei nicht verletzt worden, weil territoriale Unversehrtheit als Völkerrechtsprinzip nur für das Verhältnis zwischen Staaten, nicht jedoch für Akteure innerhalb eines Staates gelte. Applaus hätte es für dieses Urteil von den USA, der EU und von Deutschland gegeben.


Die kurdische Unabhängigkeits-Bewegung
Beim kurdischen Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak habe sich Ende September diesen Jahres wie zu erwarten eine breite Mehrheit der Bevölkerung mit 93% der Stimmen zur Loslösung vom Irak entschieden.
Die Unabhängigkeits-Bewegung der Kurden im Nordteil des Irak, der kurdischen Autonomieregion, von vor sechs Wochen habe sich jedoch in der Zwischenzeit in ein Debakel verwandelt. Kurdistan unter dem vor wenigen Tagen zurückgetretenen Präsidenten Massud Barsani habe „alles auf eine Karte gesetzt und sei vorangeprescht mit seinen Aspirationen, seiner Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Staatlichkeit“.
Weiterhin konstatierte er:
„Die Kurden wollen nicht mehr in einem Staat leben, in den sie nach dem Ersten Weltkrieg durch die Willkür der Siegermächte gezwungen worden waren“

In einem Staat, der seine Versprechungen nicht wahrgemacht hätte und der die Kurden immer wieder gnadenlos bekämpft hätte. Bei Aufständen gegen Bagdad wären in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren Hunderttausende Kurden ums Leben gekommen, der Westen hätte dabei immer nur zugeschaut. Als Beispiel führte Toprak aus, 1988 hätte Saddam Hussein Tausende Menschen in Halabdscha mit Giftgas ermorden lassen, mit Giftgas, das seine Schergen mit deutscher Hilfe hätten produzieren können.

Weiterhin erinnerte er an 1991, die Kurden wären damals von den Amerikanern ermuntert worden, gegen Saddam aufzustehen und dann schmählich im Stich gelassen worden. Mit den Worten „jetzt lässt der Westen die Kurden wieder im Stich“ drückte Toprak seine tiefe Enttäuschung aus.

Die Amerikaner würden vor einer „Destabilisierung“ der Region warnen, was unfassbar zynisch sei, wären sie es doch selbst gewesen, die mit dem Krieg 2003 diese Region ins Chaos gestürzt hätten.

Etwa 2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen!
Natürlich gäbe es vieles, was in der kurdischen Autonomieregion im Argen liege, gab der Referent zu, Vetternwirtschaft, Korruption, innerkurdische Konflikte, ein Präsident, der nicht von der Macht lassen wolle.
Doch Irakisch-Kurdistan sei stabiler, demokratischer, offener, als alles andere in der Nachbarschaft. Nicht von ungefähr wollten auch viele Jesiden und Christen die Unabhängigkeit. Der Schutz der Minderheiten sei in Kurdistan gewährleistet. Die Kurden hätten tapfer gegen den Weltfeind IS gekämpft, sie hätten bis zu zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen (bei ursprünglich fünfeinhalb Millionen Einwohnern). Dass ihnen der Westen und die Weltgemeinschaft jetzt ihre historische Chance versagen wollten, endlich frei zu sein, sei eine Schande. 
Die Entwicklung führe zum großen Vertrauensverlust bei den Kurden in der Diaspora. Millionen Kurden, die sich mit den „westlichen Werten“ identifizierten, fühlten sich wiederholt von denjenigen verraten, die immer vorgeben würden, diese Werte zu verteidigen.


Kurden in der Diaspora, in Deutschland: „Gut integriert und mit den Werten sich identifizierend“
So sei die deutsch-kurdische Gemeinschaft in Deutschland mittlerweile mit über 1,2 Millionen Menschen die zweitgrößte Migrantengemeinschaft nach den türkischsprachigen Migranten.
Zusammenfassend urteilte der mit maßvoller Stimme, engagiert und frei vortragende Referent, dass aber trotz mancher Spannungen und kritischer Bewertung der deutschen Haltung zum Unabhängigkeitsstreben der Kurden, „seine Landsleute gut integriert seien und sich mit Deutschland und seinen Werten identifizierten“.

Mit dem Beispiel, dass die Kurdische Gemeinde Deutschland e.V. mittlerweile fester Bestandteil des integrationspolitischen Dialogs der Bundesregierung mit den Migrantenverbänden sei, schloss er seinen Vortrag mit dem freundlichen Applaus der zahlreichen Zuhörer unter denen sich auch die Direktorin der Point Alpha Stiftung, Frau Ricarda Steinbach, der Vorsitzende des Fuldaer Ausländerbeirats, Abdulkerim Demir, und Ali Suleiman, Vorsitzender der Akademie für Bildung und Integration Fulda e.V. (ABI) befand.

Bevor die Gäste mit einem vielversprechenden Ausblick auf die Vorhaben der Sektion Fulda im ersten Halbjahr 2018 verabschiedet wurden, nahmen noch viele die Gelegenheit wahr, in einer lebhaften Diskussion Fragen zu stellen.

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