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Die Vielfalt als Wert begreifen

Mediendienst für das Biosphärenreservat Rhön / LandschaftspflegeverbandKaltensundheim. Naturschutz muss man wohl auch philosophisch betrachten – das zeigte zumindest die Tagung „Was kostet Naturschutz?“, zu der jetzt die Thüringer Verwaltungsstelle des Biosphärenreservates Rhön eingeladen hatte. Gemeinsam mit der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft, der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie sowie dem Landschaftspflegeverband „Biosphärenreservat Thüringische Rhön e.V“ gab es nach dem theoretischen auch einen praktischen Teil – nämlich einen Ausflug in das Projektgebiet des Naturschutzgroßprojektes „Thüringer Rhönhutungen“.

Große Bedeutung im globalen Zusammenhang

Der Leiter der Thüringer Verwaltungsstelle des Biosphärenreservates Rhön, Karl-Friedrich Abe, konnte im Kulturhaus von Kaltensundheim nicht nur namhafte Referenten aus ganz Deutschland begrüßen, sondern auch zahlreiche Zuhörer aus der gesamten Rhönregion. In seinem Vortrag widmete sich Prof. Dr. Peter Kunzmann vom Ethikzentrum der Friedrich-Schiller-Universität in Jena den „wertgebenden Arten“ und ihrem Schutz. Dabei sagte er, dass das Bewahren eines Zustandes, also gewissermaßen die Konservierung der Natur, ein konservatives Anliegen des Menschen ist. „Ein Einfrieren bestimmter Zustände ist unnatürlich, denn die Natur verändert sich ständig“, betonte Kunzmann. Biodiversität, der heute viel gebrauchte Begriff, meine in erster Linie die Vielfalt von Arten. „Und diese Vielfalt müssen wir als Wert begreifen. Der Eigenwert der biologischen Vielfalt ist da inbegriffen.“ Prof. Dr. Kunzmann unterstrich, dass es heute um den Erhalt lebensnotwendiger Ressourcen, vor allem von Nutzpflanzen und Nutztieren, geht. Im globalen Zusammenhang gesehen sei das nämlich von größter Bedeutung. Generell unterstrich er, dass es eigentlich der Mensch ist, der wertgebenden Arten einen Wert verleiht – und das unabhängig vom Nutzen für ihn selbst. „Wenn ein Tier durch den Wald geht, dann sieht es Fressbares oder den eigenen potentiellen Fresser. Der Mensch sieht die Dinge ganz anders; er sieht Moose, die Bäume und einen sonnendurchfluteten Wald.“ All das mache für ihn die Vielfalt aus, denn eine vielgestaltige Landschaft sei ihm lieber als eine monotone. Die Vielfalt als etwas Positives zu betrachten, könne man daher auch aus dem biblisch-christlichen Kontext ableiten, bei dem es um die „Güte der Geschöpfe“ geht.

Aussterberate 20.000 fach im Vergleich zur normalen Rate

Forscher hätten errechnet, dass die Menschen Jahr für Jahr rund 33 Billionen Dollar an Dienstleistungen von der Natur annehmen – wenn es beispielsweise um die Fruchtbarkeit des Bodens oder das Sauberhalten des Wassers geht, nannte Karl-Friedrich Abe eine Zahl, die sich kaum jemand vorstellen kann. „Dem gegenüber steht die momentan 20 000-fache Aussterberate im Vergleich zur normalen Aussterberate. Welchen Wert verlieren wir also durch das massenhafte Aussterben von Arten?“, fragte Abe. Die Diskussion über einen sinnvollen Naturschutz zeige das Dilemma, in dem sich dieser selbst befindet, denn man müsse dabei immer fragen, wer die Kriterien dafür aufstellt.
Der Wandel der Kulturlandschaft, hob Jürgen Boddenberg von der Thüringer Landesanstalt für Wald, Jagd und Fischerei in seinem Referat hervor, sei nicht aufzuhalten. Gleichzeitig sei die Beibehaltung der traditionellen Wirtschaft in Zukunft nur auf ausgewählten Flächen möglich. Einer Wiederbelebung traditioneller Wirtschaftsformen sind damit enge Grenzen gesetzt, meinte er. Die einzige Konstante, das habe die Vergangenheit auf der Erde und auch in Thüringen gezeigt, sei der Wandel. „Viele schleichende Veränderungen fallen uns gar nicht auf, höchstens, wenn wir ein paar Jahre woanders gewesen sind. Die Geschwindigkeit des Wandels nimmt dabei zu – denn wir sind dabei, immer mehr Flächen an unsere Bedürfnisse anzupassen“, sagte Boddenberg. Eine Realität sei es, dass Offenlandbereiche zuwachsen. Die ursprüngliche Vegetation in Thüringen seien aber Wälder gewesen. Durch ihre Nutzung in den vergangenen Jahrhunderten betrage deren Anteil an der Gesamtfläche nur noch 30 Prozent – einhergegangen sei damit ein Artenverlust.

Der Wandel bedeute nicht immer den Verlust von Arten, denn einige können sich der Veränderung eines Biotops auch gut anpassen, erklärte Boddenberg. Wandel könne auch die Chance zur Etablierung anderer, ebenfalls als wertgebend zu bezeichnenden Lebensgemeinschaften bieten. „Ohne die Fortführung der traditionellen Bewirtschaftung unserer Flächen werden wir einen Artenverlust hinnehmen müssen. Leider werden bei der Vermittlung von Naturschutz, seinen Aufgaben und Zielen oft solche Sachen wie das Heimatgefühl außer Acht gelassen“, resümierte Boddenberg.
Mit der Betriebswirtschaft der Schäferei beschäftigte sich Prof. Dr. Ulrich Hampicke vom Lehrstuhl für Landschaftsökonomie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Damit lenkte er genau wie Uta Maier vom Verband für Agrarforschung und -bildung Thüringen e.V. bereits zum praktischen Teil der Tagung über – zur Besichtigung von Flächen im Naturschutzgroßprojekt „Thüringer Rhönhutungen“. Die Schäferei, musste Hampicke anhand von Zahlen feststellen, fahre pro Jahr einen Verlust von rund 500 Euro pro Hektar ein. Schuld daran sei der hohe Arbeitsaufwand, die Arbeitszeit der Schäfer und das Futter für Schafe und Hunde. Dennoch sei die Arbeit des Schäfers unverzichtbar für den Erhalt der Kulturlandschaft und ihrer Elemente, beispielsweise der Kalkmagerrasen in der Rhön. Die Defizite müssten durch öffentliche Zahlungen aufgefangen werden, unter anderem aus dem Programm zur Förderung von umweltgerechter Landwirtschaft, Erhaltung der Kulturlandschaft, Naturschutz und Landschaftspflege in Thüringen, kurz „KULAP“ genannt. Dabei verwies Hampicke darauf, dass das Thüringer Programm eines der besten bundesweit ist und neben dem nordrhein-westfälischen das einzige, das die Förderung von Ackerwildkräutern beinhaltet.

Vergleich zur Wirtschaft

Auch Prof. Dr. Hampicke wurde in seinem Vortrag philosophisch. Der Schäfer, betonte er, produziere zwei wertvolle Produkte – zum einen Lämmer; zum anderen Landschaft. „Der Schäfer muss das Bewusstsein haben, dass er für beide Teile vernünftig bezahlt wird. Er braucht eine leistungsgerechte Entlohnung und keine Beihilfen, auf die noch nicht einmal ein Rechtsanspruch besteht.“ Unterstützungen wie die allgemeine Flächenprämie, Zahlungen aus dem KULAP, Ausgleichszulagen und Defizitzahlungen bekämen auch Weizenanbauer – und zwar auch dann, wenn die Preise für Weizen oben sind. „Man sollte deshalb für das Ergebnis bezahlen, nicht für den Aufwand. In der Wirtschaft darf für jeden Ramsch Gewinn gemacht werden; beim knappsten und wertvollsten Gut Naturschutz werden aber nur die Kosten erstattet“, sagte Hampicke. „Wenn ein Banker für sein Versagen eine Million bekommt, warum sollte dann ein Schäfer nicht auch eine Million bekommen, wenn er mit seiner Arbeit eine Art erhält?“, fragte der Professor überspitzt.
Im Anschluss sahen sich die Teilnehmer der Tagung auf verschiedenen Flächen des Naturschutzgroßprojektes „Thüringer Rhönhutungen“ um. Dabei erhielten sie fachkundige Auskünfte von Petra Ludwig und Julia Gombert vom Landschaftspflegeverband „Biosphärenreservat Thüringische Rhön“, die das Großprojekt koordinieren.

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