Im „Hellen Haus“ trauern dürfen
Melanie Schürer und Ulrike Clemens initiieren Vereinsgründung für ein begleitetes
Wohnprojekt für Trauernde.
ALSFELD (pm). Trauer verläuft nicht linear, welche Gefühle sie weckt, lässt sich nicht
steuern, sie kommt und geht und passt so gar nicht in den durchgetakteten Alltag unserer
Gesellschaft. Diese Erfahrung machen früher oder später alle Menschen, die einen geliebten
Menschen verlieren. Insbesondere der Verlust von Lebenspartnern oder Kindern verändert
alles, reißt tiefe Wunden, fordert neue Orientierung. Menschen, die Trauer durchleben,
können sich gegenseitig stärken, obwohl Trauer unterschiedlich bearbeitet wird – eine
Erfahrung die Ulrike Clemens und Melanie Schürer machten, als sie sich in ihrer Trauer um
einen geliebten Menschen in einer Trauergruppe trafen. Und je intensiver sie sich mit dem
Thema befassten und je mehr sie mit ihrer Perspektive als Trauernde auf die Gesellschaft
blickten, umso klarer wurde ihnen, dass diese Trauernden nicht den Raum gibt, um
weiterzuleben, sich auch fallenzulassen, sich neu zu organisieren, das Nötige zu tun.
„Die Welt eines trauernden Menschen steht plötzlich Kopf. Wichtige Entscheidungen müssen getroffen werden, obwohl der- oder diejenige aufgrund der emotionalen und psychischen Ausnahmesituation gerade dazu nicht in der Lage ist“, sagt Melanie Schürer. Sie weiß, dass Tauer zwar ein natürlicher Prozess ist, der Zeit und Raum braucht, doch ihre Erfahrung ist, dass es oft gerade daran fehlt: „Das Verständnis für die Ausnahmesituation, in der sich ein trauernder Mensch befindet, sinkt meist mit jedem Monat. Trauernde erleben sich daher häufig allein gelassen, orientierungslos, verzweifelt und handlungsunfähig.“
Vor diesem Hintergrund, und weil die Idee eines „Hellen Hauses“ schon lange in ihr
schlummerte, möchte Schürer nun gemeinsam mit einigen Mitstreiterinnen einen Ort
schaffen, der Trauernden Zeit und Raum gibt, einen Ort, in dem sie aufgehoben sind, aber
auch Rückzugsmöglichkeiten haben, an dem es Angebote gibt, die freiwillig zu nutzen sind,
und an dem es auch Möglichkeiten zu externen therapeutischen Maßnahmen geben soll.
Wir bieten gemeinsames Kochen, kreatives Arbeiten, Spaziergänge, Sport, Gespräche,
tiergestützte Maßnahmen – viele Dinge, die uns selbst weitergeholfen haben und die wir
immer noch brauchen“, sagen die Initiatorinnen. Explizit soll das Helle Haus weder eine
Reha- noch eine Therapieeinrichtung sein, vielmehr eine Herberge auf Zeit, ein Schutzraum
vor der Welt, ein Ort, um Ruhe zu finden und sich selbst zu begegnen – mit dem Verlust, den
man erlitten hat.
Als ersten Schritt zum „Hellen Haus“ suchen die Initiatorinnen Menschen, die
Gründungsmitglieder des Vereins werden möchten. „Wir suchen Leute, die unsere Idee für
wertvoll halten und sie ideell, finanziell oder aktiv unterstützen möchten“; sagt Ulrike
Clemens. Viele Kompetenzen werden gebraucht, um ein Projekt, das neben viel
Arbeitsaufwand auch einen nicht geringen Finanzbedarf hat, zu stemmen. Aber den ist es
wert, ist sich die Gründungsgruppe sicher. „Ein solches Haus hat absoluten
Vorreitercharakter“, weiß Schürer. Die Pädagogin macht eine Ausbildung zur
Trauerbegleiterin und hat intensiv zum Thema Rückzugsorte für Trauernde recherchiert. „Wir würden damit neue Wege in der Trauerarbeit beschreiten, die vielen Menschen
zugutekommen würden.“ Und das unabhängig von Weltanschauung oder
Religionszugehörigkeit, von Alter oder Herkunft.
In der Praxis soll das „Helle Haus“ trauernden Menschen eine Anlaufstelle sein, für Tage
oder Monate, im Akutfall oder bei Bedarf: Jahrestage, Feiertage, bestimmte Anlässe – es
kann vieles geben, dass Trauer und die damit einhergehenden Gefühle reaktiviert. Im
„Hellen Haus“ soll es möglich sein, für die Trauernde „die Welt kurz anzuhalten“, wie es in
dem Konzept heißt. Und dort finden sich nicht nur emotionale uns psychosoziale
Unterstützung wieder, sondern auch ganz praktische Dinge: „Wir wissen, dass Trauernde oft
vergessen zu essen und zu trinken, sie verlieren ihre Tagesstruktur, sind von den vielen
Dingen die zu tun sind, wie finanzielle Dinge regeln oder Anträge stellen, überfordert. Auch
da möchten wir bereitstehen“, führt Schürer aus.
Wie ein Hospiz sich um Sterbende kümmert, soll das „Helle Haus“ Trauernde aufnehmen,
die sich in der Gemeinschaft vielleicht besser wieder auf einen Weg in die Welt machen –
ohne Druck, Kommentare und ungewollte Ratschläge. „Als Trauernde erlebt man viel, oft auch, weil es anderen selbst schwerfällt, Trauernden zu begegnen“, so Clemens.
Aus diesem Grund soll der Verein auch dazu beitragen, das Thema Trauer mit Hilfe von
Referenten in die Öffentlichkeit zu tragen. Eine enge Zusammenarbeit mit den regionalen
Hospizeinrichtungen wie der Stiftung Lichtermeer und den Hospizvereinen im Vogelsberg
wird angestrebt.
„Wir hoffen, dass es uns gelingt, Mitmacher, finanzielle Mittel und Räumlichkeiten für das
Helle Haus zu finden“, so Melanie Schürer und Ulrike Clemens. Sie starten mit der
Vereinsgründung, für die sie am Samstag, 28.Oktober um 15 Uhr in der Stadtmission Alsfeld
einladen (Walkmühlenweg 1D, Parken am besten am Schwimmbad). Weitere Informationen
zum Projekt findet man unter www.helleshaus.org