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„Unsere Familie hat großes Glück gehabt“ – Susie Greenwood besuchte 70 Jahre nach der Flucht ihre alte Heimatstadt Fulda

MagistratspressestelleFulda/London (mb). Susie Greenwood ist charmant, sympathisch und im besten Sinne eine Lady. Das Alter ist der 84jährigen Londonerin kaum anzumerken. Mit flottem Schritt erkundet sie zielsicher ihre ehemalige Heimatstadt, die sie vor 70 Jahren wegen der Nazis verlassen musste. Vor 25 Jahren war die heutige Engländerin schon einmal kurz in der Domstadt gewesen. Aber nur für anderthalb Stunden – denn die Erinnerungen, so sagt sie noch immer in perfektem Deutsch, „waren erdrückend für mich.“ Dank der Überredungskunst von Tochter Bernice ließ sich Susie Greenwood, die als Susie Weinberg in Fulda zur Welt kam,  überzeugen, doch noch einmal an den Ort ihrer Jugend zurückzukehren.

Vieles wie damals

Bereut hat sie es nicht. Wichtige Punkte im Stadtbild sind trotz des Bombenhagels des Zweiten Weltkriegs erhalten geblieben. So der mehrstöckige Backsteinbau aus der Gründerzeit Rhönstraße 9, das Heim der Weinbergs, in dem Susie ihre Jugendjahre verbracht hat. Auch das Nachbargebäude, das ihrer Tante gehörte, steht noch. Auf der Wiese hat Susie Weinberg mit ihrer Cousine und anderen Kindern gespielt. Als sie vor der Tür steht, öffnet plötzlich ein älterer Herr und bittet die ehemalige Fuldaerin mit Tochter, Schwiegersohn und Nichte spontan hinein ins Haus und in den Garten. „Da war doch ein großer mächtiger Baum“, erinnert sich Misses Greenwood und erhält zur Antwort, dass mehrere Bomben im Garten eingeschlagen und den Baum zerstört hätten. Vieles scheint dennoch so zu sein, wie sie es in Erinnerung hat. Der ehemalige jüdische Friedhof im Herzen der Stadt, heute der Jerusalemplatz, ist dagegen kaum mehr wieder zu erkennen:

Anders als Schloss und Friedrichstraße. „Die alten Häuser in der Friedrichstraße sehen aus wie damals“, sagt der aufmerksame Gast aus England, „nur viel schöner.“ Trauer und Enttäuschung überkommen sie, als sie mit ihrer Familie am alten Platz der Synagoge, einer hässlichen Betonfläche, steht. „Was war das doch für eine schöne Synagoge gewesen. Eine der schönsten, die ich je gesehen habe“, erinnert sie sich und hält inne. Auch am Buttermarkt blitzen die Bilder der Vergangenheit auf. Hier gehörte Susies Vater ein Fachgeschäft für Textilien. Nach Übergriffen der Nazis musste er sein Geschäft von zu Hause aus führen.

Auf ihrer Tagestour durch Fulda geht Susie Greenwood auf Spurensuche nach den Wurzeln ihrer Familie. Dank Archivleiter Dr. Thomas Heiler und Beate Kann wird sie fündig. Bewegend sind die Erinnerungen der Londonerin an das Schicksalsjahr 1939. „Meine Familie hat damals großes Glück gehabt.“ Mit einem der letzten so genannten Kindertransporte hatte das gerade mal 14 Jahre alte Mädchen ins englische Coventry ausreisen können, wo eine Familie sie aufnahm. Gottseidank schafften es auch die Eltern dem Nazi-Terror und der Verfolgung durch die Ausreise nach England zu entkommen. Andere Familienmitglieder hatten weniger Glück als die junge Susie.

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Schulkamerad Kahn

Bei einer Tasse Kaffee werden erneut Gefühle und Bilder aus der Jugend lebendig. „Ich hätte nie geglaubt, dass ich nach Fulda zurückkehren würde“, bekennt Susie Greenwood lächelnd und nachdenklich zugleich Fuldas OB Gerhard Möller, der sich Zeit für seine englischen Gäste genommen hat. Fulda sei damals eine kleine Stadt gewesen. „Heute ist es viel größer und schöner.“ Im Gespräch mit Möller fällt der Name Kahn. Mit Rabbinersohn Michael, der heute in Israel lebt, ist Susie als Teenagerin in die jüdische Schule gegangen.

Fuldas Verwaltungschef freut sich, dass jüdisches Leben nach den schrecklichen Jahren der Naziherrschaft wieder Fuß in Fulda gefasst hat. Die Gemeinde habe eine dynamische Entwicklung mit einer kontinuierlich steigenden Mitgliederzahl hinter sich. Das Miteinander zwischen Mitgliedern, Gemeindevorstand und der Stadtverwaltung sei sehr gut. Mitte der 80er Jahre konnte die ehemalige jüdische Schule unter Möllers Amtsvorgänger Dr. Wolfgang Hamberger in ein  Gemeindezentrum mit Gebetsraum und kleinem Museum umgebaut werden. Mit einer großen Begegnungsfeier jüdischer Mitbürger in ihrer alten Heimatstadt ist es feierlich übergeben worden. Susie Greenwood hatte damals leider nicht dabei sein können. Umso mehr freute sich die Wahl-Londonerin jetzt, Fulda  wieder zu sehen.

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