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Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung – FULDA-MOSOCHO-PROJEKT auf globaler Ebene angekommen

Fulda. Was Insider schon länger wissen – das hat nunmehr UNICEF, Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, in ihrer neuesten Veröffentlichung, der „Fünf-Länder-Studie“ offiziell herausgestellt: Fulda – Hessen ist im internationalen Kampf gegen FGM ganz vorn. Denn das Fulda-Mosocho-Projekt des CENTER for PROFS (= Practice-Oriented Feminist Science) und des LebKom e.V. ist – so das Ergebnis der Studie – mit Abstand das erfolgreichste Projekt in ganz Kenia, das flächendeckend nachhaltig Tausende von Mädchen in der Mosocho Division vor der grausamen Klitorisverstümmelung rettet.

Fotos: Center for PROFS

Die Studie beschreibt, wie durch die Arbeit des Fulda-Mosocho-Projektes  Kenia sogar zu den wenigen Ländern Afrikas zählt, die überhaupt Erfolge im Kampf gegen FGM zu verzeichnen haben. Die anderen Länder sind Ägypten, Athiopien, Senegal und Sudan. Wer neben den beiden „Fuldaern“, CENTER for PROFS und LebKom e.V., weitere deutsche Organisationen in der Studie sucht, sucht vergeblich. Den Erfolg Kenias sieht UNICEF im Wert-Zentrierten Ansatz begründet, der von Muthgard Hinkelmann-Toewe, Professorin der Hochschule Fulda und Direktorin des CENTER for PORFS, entwickelt wurde und in dem SozialpädagogInnen zu Anti-FGM Fachkräften ausgebildet werden, bevor sie Verantwortung in Kenia übernehmen dürfen.

„Diese Anti-FGM Fachkräfte“, so die Professorin, „werden vom Fuldaer Verein LebKom nach Kenia entsendet, um dort Hand-in-Hand mit den ‚NutznießerInnen‘ (so die Amtssprache), den Einheimischen, den gesamten Prozess zu gestalten, durch den sie Etappenziel um Etappenziel tatsächlich erreichen.“ Mit der Feststellung der Studie über den Erfolg des Fulda-Mosocho-Projektes sagt UNICEF auch: Jeder Euro – ob von Politik oder SponsorInnen / SpenderInnen – eingesetzt für das Fulda-Mosocho-Projekt lohnt, weil er Mädchen tatsächlich nachhaltig zu retten vermag.

5 Jahre geforscht

Fünf Jahre recherchierte das UNICEF Research Institute (von 2006 – 2010) in ganz Afrika nach „Interventionen“, Ansätzen und Projekten, die den Kampf gegen FGM flächendeckend vorangebracht haben. Die Ergebnisse der international hoch angesehenen Studie wurden von Politik und Fachkreisen bereits mit Spannung erwartet. Die Studie sieht ihre Aufgabe darin, Politik, Geldgebern und Aktiven Empfehlungen zu geben, wie der weltweit nur schleppend vorangehende Kampf gegen FGM zu beschleunigen ist. Bei einer Lebenswirklichkeit, in der nach wie vor jährlich an die 3 Millionen Mädchen und Frauen dem grausamen Ritual unterzogen werden, liegt die Wichtigkeit solcher Empfehlungen auf der Hand.

Auch macht die Studie deutlich, wodurch sich das Fulda-Mosocho-Projekt von Interventionen in anderen Ländern unterscheidet: Mit dem Wert-Zentrierten Ansatz bringt es als einziges Projekt eine auf wissenschaftlichem Fundament entwickelte Methode zur Anwendung und arbeitet auf Nachfrage der grassroot people. So kann die Zusammenarbeit mit den Einheimischen von Anfang an und ohne Umwege beim Kernthema, der Überwindung der grausamen Sitte, starten. Das spart Kosten und Zeit, die bei anderen Projektträgern zunächst in themenferne Maßnahmen (wie Brunnen-, Schulbau etc.) investiert werden müssen, um überhaupt erst das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung zu generieren.

Zudem fokussiert das aus Fulda stammende Projekt auf die Zielgruppe der Männer, weil sie in den Herkunftsländern das Sagen in den Familien haben: an den Kapazitäten, allen voran an den mehrjährigen Kursen für Lehr- und Führungskräfte nehmen 50% Männer und 50% Frauen teil.

Diese Aspekte sind, kombiniert mit dem Einsatz von Fachkräften, nach Auffassung von Prof. Dr. Muthgard Hinkelmann-Toewe maßgeblich dafür verantwortlich, dass – wie die Studie ausweist – Kenia mit dem Fulda-Mosocho-Projekt im Vergleich zu den anderen vier Ländern seine gesteckten Ziele zügiger, sogar innerhalb weniger Jahre erreicht.

„Null Geduld“ mit FGM

Auch kommt die Studie in Bezug auf ein weiteres Ereignis gerade zum richtigen Zeitpunkt. Mittlerweile zum achten Mal in Folge rufen die Vereinten Nationen dazu auf, keine Geduld mehr mit der grausamen Praxis zu haben: Der 06.02. gilt international als „Zero Tolerance Day to FGM“. Ein besseres Timing ist gar nicht denkbar: das Zusammentreffen beider Ereignisse offenbart die globale Lage: „Nehmen wir die Situation allein in Kenia“ – erläutert Kerstin Hesse, Anti-FGM Fachkraft von LebKom – „dort unterhalten Dutzende von Organisationen / Trägern (etliche schon über Jahre) Interventionen. Würde bei diesen – insbesondere bei den großen Trägern – die Geduld gegen Null gehen und ihre Interventionen auf die Standards der Studie ausgerichtet werden, dann wäre viel gewonnen.“ Tatsächlich erweist sich die „Fünf-Länder-Studie“ mit ihrem Empfehlungscharakter als Hoffnungsträger für Millionen von Mädchen und Frauen.

Schon der Titel der Studie macht klar, worauf es bei der Abschaffung des durch FGM weltweit verbreiteten Leids ankommt: auf die sozialen Dynamiken in den verschiedenen FGM-Ethnien und darauf, sie zu verstehen und sie zügig so in Bewegung zu bringen, dass die Abschaffung der Sitte zeitnah und flächendeckend erreicht wird.

„Das ist nur realistisch“, so Hinkelmann-Toewe, „wenn der Kern- und Angelpunkt jeder sozialen Dynamik – die Geschlechterstrukturen – zentral ins Visier genommen und bezogen auf die sensiblen Bereiche ‚Sexual and Reproductive Health and Rights‘ systematisch bearbeitet werden. Für eine solch’ spezielle Aufgabe, das dürfte nachvollziehbar sein“, so die Expertin Hinkelmann-Toewe weiter, „benötigt es speziell ausgebildete Fachkräfte. Das leistet der Wert-Zentrierte Ansatz.“

Männer im Fokus

Wer Mädchen retten will, muss Männer für den Wandel begeistern. Auch das macht die Studie klar: die meisten Projekte scheitern schon deshalb, weil den beschnittenen Müttern / den Frauen der Wandel abverlangt wird. Anders verhält es sich beim Fulda-Mosocho-Projekt: Prof. Hinkelmann-Toewe hat bereits auf der 4. Weltfrauenkonferenz (Peking 1995) die Position vertreten: Wer die Situation von Mädchen nachhaltig verändern will, braucht zuallererst die Mitarbeit der Väter. Folglich folgt das Fulda-Mosocho-Projekt dieser Einsicht von Anfang an – und zwar mit herausragenden Ergebnissen. Hellhörig wurde UNICEF 2007, als Hinkelmann-Toewe das Fulda-Mosocho-Projekt in New York den Vereinten Nationen vorstellte und wissenschaftlich begründete, warum Väter und Großväter der zu rettenden Mädchen von Anfang an in den Fokus der gesamten Arbeit gehören: sie sind die Hauptadressatengruppe für flächendeckenden Erfolg in der Kommune. Wie das praktisch aussieht, das haben sich die UNICEF-Experten in 2007 und 2008 vor Ort in Mosocho angesehen.

Deutlicher Rückgang geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen in Mosocho

Als besonders erwähnenswert hebt die Fünf-Länder-Studie hervor, dass durch Anwendung des Wert-Zentrierten Ansatzes in der Mosocho-Region mit seinen 130 Tausend EinwohnerInnen nicht nur im Kampf gegen FGM, sondern auch in einem weiteren Kampf, dem der Gewalt gegen Frauen, entscheidende Umbrüche erreicht worden sind.

„Die grass-root Menschen ernst nehmen“

Dies fordert Hinkelmann-Toewe, die Initiatorin des Fulda-Mosocho-Projektes verstärkt von der Politik. „Bekanntlich“ – so die Professorin – „entscheiden Angebot und Nachfrage über Erfolg und Misserfolg eines Produktes! Warum soll das bei Maßnahmen gegen FGM anders sein?“ Die Studie macht deutlich, dass eine Reihe der für den Kampf gegen FGM angebotenen Produkte (= Interventions) es nicht schaffen, die Herzen der Menschen zu erreichen und die Kommunen in Bewegung zu bringen. In diesen Fällen bleibt der Erfolg aus. „Ein Paradigmenwechsel“ – so Hinkelmann-Toewe – „würde Abhilfe schaffen. Grassroot people der Ethnien sollten ermutigt werden, als Akteure, als Nachfragende in Bezug auf ‚Interventions‘ bei ihren Regierungen Einfluss zu nehmen. Auf diesem Wege sind Nachfrage und Finanzströme effizient zusammenzubringen!“

Erfolg des Fulda-Mosocho-Projektes ist übertragbar

Die Bedeutung, die der Entsendung von Anti-FGM ExpertInnen für einen beschleunigten Kampf gegen FGM zukommt, wird auch durch eine Petition zum Ausdruck gebracht, die LebKom e.V. Ende 2010 den EU Institutionen in Brüssel überreichte. Die Petition, die den Einsatz von Fachkräften fordert, wird von 4.000 BürgerInnen aus Deutschland mit deren Unterschrift unterstützt.

In einem persönlichen Gespräch mit der Anti-FGM Fachkraft Kerstin Hesse konnte die EU Kommissarin für Education, Culture, Multilingualism and Youth, Androulla Vassiliou, dafür gewonnen werden, die Forderung nach Anti-FGM Fachkräften innerhalb der EU weiter ins Gespräch zu bringen und sie mit ihrer Unterschrift persönlich zu bekräftigen. Auch MdEP Alexander Alvaro, der das Fulda-Mosocho-Projekt 2006 in Kenia besuchte, und Europa-Parlamentarierin Eva Britt Svensson, Vorsitzende des EU-Frauenausschusses, haben ihre Unterstützung zugesagt, der in der Petition erhobenen Forderung im EU Parlament Nachdruck zu verleihen. Weitere EU-Abgeordnete sollen hierfür gewonnen werden. Die UNICEF-Studie unterstreicht die politische Dimension, die einer Beschleunigung der internationalen Bemühungen in diesem Bereich zukommt.

„Mit den Menschen leben“ – innovativ wie vor 25 Jahren

Auch in Bezug auf ein weiteres Ereignis kommt die Studie gerade rechtzeitig: 2011 blickt Prof. Muthgard Hinkelmann-Toewe auf ein 25-jähriges Engagement in Afrika zurück: Im Februar 1986 folgte die Professorin der Einladung der grassroot people und reiste mit Studierenden der Hochschule (Fulda) in den Süd-Westen Kenias. Ihre Motivation: gemeinsam mit den Menschen – vor allem den Frauen – herauszufinden, was sie brauchen, was sie verändern möchten und was nicht. Es entstand die wissenschaftliche Studie des CENTER for PROFS aus 1987: „Frauen in Kenia“.

Um den Bedürfnissen der Menschen in authentischer Weise auf die Spur zu kommen, wohnten Professorin und Studierende während ihrer Arbeits- und Forschungsaufenthalte in den homes der grassroot people. Damals einmalig – heute immer noch. Dazu die Aussage eines etablierten Entwicklungsträgers: Schwarze würden ihre homes gegen Weiße abschirmen, deshalb habe noch keiner ihrer Entwicklungshelfer ein home„We are cut!“. Es war am betreten. In 1986 ereignete sich auch die Schlüsselerfahrung der Fuldaer Professorin in Bezug auf FGM. Bei der Ethnie der Kuria (Beschneidungsrate 98%) erfuhren Professorin und Studierende das erste Mal von der grausamen Sitte – von FGM. Eine der betroffenen Kuria-Frauen vertraute der Professorin an: 13.02.86, lange bevor Waris Dirie ihre grausamen Erfahrungen öffentlich machte.

Der Abschied des ersten Aufenthaltes war genauso herzlich wie die Begrüßung. Im Gepäck brachten die Fuldaer den Wunsch der Kuria mit, in Deutschland über diese Sitte zu berichten. Überdies rundete der Afrika-Aufenthalt mit der Einladung ab : „Come again.“ So machte sich eine StudentInnen-Generation nach der anderen von Fulda nach Kenia auf, womit sich ein innovativer Strang der Entwicklungszusammenarbeit formierte. Unter den ersten Pionierinnen: Ritva Siemers – heute Vorsitzende von LebKom und Ulrike Maschke – heute Managerin des CENTER for PROFS.

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