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Hermann Hesse Aquarelle in der Kunststation

Kleinsassen. Als man nach dem Tod des weltberühmten Schriftstellers Hermann Hesse (1877-1962) seinen Nachlass öffnete, war die Überraschung groß. Neben seinen Manuskripten, Notizen und Briefen fand man um die 3.000 Aquarelle und illustrierte Schriftstücke von denen kaum ein Mensch wusste. Er selbst hatte zu Lebzeiten kaum Aufheben darum gemacht. Doch war die Malerei dennoch sehr viel mehr für ihn als ein netter Zeitvertreib. Nicht nur, dass er ihr ungefähr ein Drittel seiner Arbeitskraft widmete und es zu einigem Können brachte, sie markiert auch einen Wendepunkt in seinem Leben. Ja, sie war ihm sogar Rettung in höchster Not. „Es ist so, dass ich längst nicht mehr leben würde ohne Malerei,“ schrieb er einmal.

Das ist in zweifacher Hinsicht wörtlich zu verstehen, denn sie wurde ihm nicht nur therapeutisches Hilfsmittel gegen seine Depressionen, als er während des ersten Weltkriegs in eine tiefe Lebenskrise stürzte, sie ernährte ihn auch buchstäblich, als er nach der großen Inflation eine ganze Weile so arm war, dass er fast ausschließlich von Reis, Milch und Esskastanien lebte. Seinen kargen Unterhalt bestritt er in dieser Zeit durch den Verkauf seiner Bilder, weil niemand etwas für seine Texte bezahlte.

Dabei hatte der sensible Künstler schon früher mit der Malerei geliebäugelt. Im November 1903 schrieb er an Stefan Zweig: „Wie oft habe ich mir schon gedacht, was für schöne Bilder ich malen könnte, wenn ich malen könnte.“ Doch als sich der zutiefst Verunsicherte nach seiner Emigration aus dem kriegstrunkenen, pompös-nationalistisch gesinnten Deutschland in die Schweiz in seiner Verzweiflung bei einem Arzt Sigmund Freuds in die damals noch vollkommen neuartige psychoanalytische Behandlung begab und dieser Arzt dem fast 40-Jährigen vorschlug, seine Träume in Bildern auszudrücken, sträubte er sich noch einige Zeit, den Pinsel in die Hand zu nehmen. Als er es dann endlich tat, wirkte das wie eine Befreiung für Hesse. Von da an legte er den Pinsel nie mehr weg und sprach offen davon, dass die Malerei ihm das Leben erträglicher machte. Noch kurz vor seinem Tod antwortete er der Zeitung „Die Welt“ auf ihre Umfrage unter Schriftstellern, warum sie schreiben: „Weil ich ja nicht den ganzen Tag malen kann.“

Die beiden Ausdrucksformen, das Malen und das Schreiben, speisten sich bei Hesse aus demselben ästhetischen Impuls: der Poetisierung der Wirklichkeit. Dafür standen ihm sprachlich zwar ungleich mehr Möglichkeiten zu Gebote, aber auch malerisch gelangte er zu einer eigenständigen Ausdrucksform. Denn nach seinen zaghaften Anfängen mit gedeckten Farben und demütiger Detailgenauigkeit, änderten sich unter dem Einfluss seiner Malerfreunde Louis Moillet, August Macke, der Werke Emil Noldes und „der Brücke“ seine Palette bereits drei Jahre später hin zu unvermischten, leuchtenden Farben und sein Ausdruck zu einer expressionistischen Formensprache, die kühne Vereinfachungen wagt.

Doch selbst wenn Hesses Aquarelle manchmal fast abstrakt anmuten, sind sie doch im Wesentlichen Landschaftsbilder und damit Zeugnisse seiner Natur- und Landschaftsbeobachtung. Darüber hinaus ist sein malerisches Werk eine große Hommage an die Umgebung seiner Tessiner Wahlheimat, die man durch die Bilder regelrecht entdecken kann. Denn viele der Ausblicke und Wanderwege sind heute noch so im Tessin erhalten, wie der unermüdliche Wanderer Hesse sie in seinen Bildern festhielt. Ja, er war, sowohl was die Malerei als auch was seine Literatur betrifft, geradezu beseelt vom Festhalten. Das Erfreuliche, das Flüchtige, das Berührende, das Magische wollte er „der blöden Wirklichkeit“ gegenüberstellen und in der Tat stehen diese Bilder in ihrer kontemplativ-heiteren Natürlichkeit einer zunehmend industrialisierten Welt gegenüber. Sie sind ein wärmendes Ideal und damit ein Plus an Lebensqualität, nach dem sich viele Menschen sehnen.

Nicht zuletzt weil der Nobelpreisträger für Literatur (1946) dieses Gefühl auch in seinen Texten vermittelt und damit ein Millionenpublikum erreichte und immer noch erreicht, waren auch zur Vernissage am Sonntag sehr viele Menschen nach Kleinsassen gekommen, um seine Bilder zu sehen. Zusammengestellt von dem Kurator der Ausstellung, Günther Troll, konnten sie in den großzügigen Hallen der Kunststation einen äußerst umfangreichen Einblick in das malerische Oeuvre des Schriftstellers inklusive noch nie gezeigter Arbeiten gewinnen. Sie hörten auch eine begeisternde und aufschlussreiche Einführung in das Leben und Wirken Hesses von dem Herausgeber der Hermann Hesse-Gesamtausgabe bei Suhrkamp, Volker Michels. Anekdotenreich erzählte Michels aus dem Leben des Künstlers, zeigte Parallelen zwischen den Bildern und den Büchern Hesses auf und ließ ihn immer wieder selbst zu Wort kommen.

Dieses Extra bleibt zukünftigen Besuchern der Ausstellung zwar verwehrt, doch können sie sich dafür an einem großen Büchertisch aus einem umfangreichen Literaturangebot von und über Hermann Hesse eindecken und natürlich die Ausstellung entdecken. Eine Ausstellung, die sicher noch sehr vielen Menschen das Herz erwärmen wird. (mb)

Die Ausstellung dauert noch bis zum 25.09.2011 und ist täglich von Dienstag bis Sonntag, 13-18 Uhr geöffnet.

Malerfreude (Hermann Hesse 1918)

Äcker tragen Korn und kosten Geld
Wiesen sind von Stacheldraht umlauert,
Notdurft sind und Habsucht aufgestellt,
Alles scheint verdorben und vermauert.

Aber hier in meinem Auge wohnt
Eine andre Ordnung aller Dinge,
Violett zerfließt und Purpur thront
Deren unschuldvolles Lied ich singe.

Gelb zu Gelb, und Gelb zu Rot gesellt,
Kühle Bläuen rosig angeflogen!
Licht und Farbe schwingt von Welt zu Welt,
Wölbt und tönt sich aus in Liebeswogen.

Geist regiert, der alles Kranke heilt
Grün klingt auf aus neugeborener Quelle
Neu und sinnvoll wird die Welt verteilt
Und im Herzen wird es froh und helle.

Hermann Hesse – Kurzbiographie

1877 geboren am 2. Juli in Calw/ Baden-Württemberg
1904 Ehe mit Maria Bernoulli
1906 Mitherausgeber der antiwilhelminischen Zeitschrift „März“
1911 Indienreise
1912 Übersiedlung nach Bern
1914- 1919 im Dienst der Deutschen Kriegsgefangenenfürsorge Bern
1924 Hermann Hesse wird Schweizer Staatsbürger
Ehe mit Ruth Wenger
1930 Austritt aus der „Preußischen Akademie der Künste“, Sektion Sprache und Dichtung
1931 Ehe mit Ninon Dolbin geb. Ausländer
1946 Nobelpreis
1962 gestorben am 9. August in Montagnola

Werke Auswahl: Knulp, Demian, Klingsors letzter Sommer, Siddhartha, der Steppenwolf, Narziß und Goldmund, das Glasperlenspiel u. v. m.

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