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Wie anders sind Jungen? Psychologe Tim Rohrmann warb für „geschlechts-bewusste“ Pädagogik

Vogelsbergkreis. Was wünschen sich Jungen in Kindergarten und Grundschule? Und wie wünschen sie sich das, was sie da wünschen? Ist „Abgrenzen“ schlimm oder nicht einfach „normal“? Wird dieses männliche Anders-Sein genügend wahrgenommen, und wichtiger noch: wird es verstanden von den Erzieherinnen, von den Lehrerinnen? Leben Jungen und Mädchen in unterschiedlichen Welten? Mit diesen Fragen beschäftigte sich der Psychologe Tim Rohrmann in einem spannenden Vortrag in der Sparkassen-Aula in Lauterbach.

Eine Antwort, die sich wie ein roter Faden als Grundthese durch den gesamten zweieinhalbstündigen Vortrag zog, lautete: „Wenn Ungleiches gleich behandelt wird, bleibt es ungleich.“ Abteilungsleiterin Elke Fleischer und Mechthild Hoffmann für das Kollegium der Lehrkräfte der Fachschule für Sozialpädagogik an der Vogelsbergschule konnten insgesamt 170 in Erziehung und Bildung tätige Fachleute und Studierende in der Erzieherausbildung begrüßen.

Der Autor und Diplom-Psychologe Tim Rohrmann war auf Einladung der Fachschule für Sozialpädagogik und der Gleichstellungsbeauftragten der Dekanate Vogelsberg und Alsfeld, Magdalena Pitzer, in Kooperation mit der Fachstelle für Kindertageseinrichtungen im Amt für Jugend, Familie und Sport des Vogelsbergkreises, nach Lauterbach gekommen.

Die Erkenntnis, dass Jungen ein anderes Erleben, andere Vorstellungen und ein anderes Lernverhalten haben als Mädchen, dass sie eine andere Förderung und eine spezifische Wahrnehmung und auch Toleranz benötigen, ist nicht neu. Seit Jahren werden „spezifische Angebote“ für Jungen gefordert, verbunden mit dem Wunsch einer Erhöhung der Anzahl männlicher Erziehender und Lehrender.

Was auch der Fachmann vom Institut für Pädagogik und Psychologie so sah. Aber Rohrmanns, oft von belebenden „Mitdenk-Aufgaben“ unterbrochener, Vortrag machte deutlich: das ist es nicht allein. Mehr noch – er sprach sich klar gegen „Zusatz-Angebote“ aus, auch wenn sie gut gemeint seien.

Vielmehr müsse ein ganzheitlicher, auf die Entwicklung beider Geschlechter orientierter Ansatz her, der die prägende Kraft von Frauen und Männern bewusst einbeziehe. „Jungen und Mädchen brauchen Männer und Frauen“, war daher eine seiner Thesen. „Bessere Bildung für alle“, forderte Rohrmann unter dem Beifall der Zuhörerinnen und Zuhörer. Manche Jungen hätten tatsächlich erhebliche Probleme mit ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihrer sozialen Integration. Aber es gebe sicher nicht „die“ Jungs.

Tim Rohrmanns Vortrag wurde zum Plädoyer für eine „geschlechts-bewusste“ Pädagogik“. Die Gleichstellungsbeauftragte der Evangelischen Dekanate Vogelsberg und Alsfeld, Magdalena Pitzer hatte in ihren Begrüßungsworten sehr ähnlich von „geschlechtergerechter Erziehung“ und von „Gender“ im Alltagshandeln gesprochen.

Natürlich gebe es „jede Menge Unterschiede“, die zur Kenntnis genommen, reflektiert und zum Anlass für neues Handeln, für neue Angebote genommen werden müssten, so Rohrmann. Dazu könne es durchaus auch einmal richtig sein, bewusst Jungen und Mädchen zu trennen. Aber eines machte der Psychologe ebenfalls mehrfach deutlich: die Unterschiede innerhalb von gleichgeschlechtlichen Gruppen seien meistens deutlich größer als die Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Klar wurde jedoch: es gibt ein „Unter-sich-sein-Wollen“ und einen Wunsch nach Selbst-Reflexion. Wenn man sie „lasse“, befänden sich in Gruppen stets 90 Prozent Jungen oder Mädchen „unter sich“. „Die Kraft der Gruppe“ dürfe für den pädagogischen Prozess nicht unterschätzt werden.

„Gender Mainstreaming“ sei der Schlüssel zum Erfolg, also eine „durchgängige Orientierung auf die Geschlechtergleichstellung“, sozusagen als Querschnittsaufgabe, eben nicht nur in Pädagogik und Bildung. In diesem Zusammenhang freute sich der Fachmann sehr über die „wahrnehmbare Tendenz, dass das Interesse der Väter insgesamt wächst“.

„Genauer hinschauen“, damit deutlich wird, was sich Jungen wünschen, was sie (wirklich) meinen, war ein Appell von Rohrmann in Richtung des Fachpersonals und der Studierenden. Spannender müsse es werden, oft handlungsorientierter – das sei es, was sich Jungen wünschen. Und ganz sicher wünschen sich Jungen mehr Männer in Bildung und Erziehung. Doch auch die Mädchen brauchen die Männer, „gute Erziehung braucht stets Männer und Frauen, auch in der Frage der unerlässlichen Vorbilder in der Pädagogik“, machte Rohrmann deutlich.

Am Nachmittag wurden die Erkenntnisse in Workshops vertieft. Darin ging es unter anderem um folgende Themen: „Was brauchen Jungen?“, „Mehr väterliche Präsens“, „Interkulturelle Kommunikation“, „Wie leben und lernen Jungen?“, „Jungenarbeit in Jugendhilfe und Frühförderung“.

Die Kongress-Teilnehmer wurden „fürstlich“ bewirtet von den Auszubildenden des Fachbereichs Gastronomie der Vogelsbergschule.

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